Isabel Schnabel, Mitglied des EZB-Direktoriums vertritt im Rahmen eines Vortrags in Frankfurt am Mittwoch die Ansicht, dass die Geldpolitik strukturelle Probleme nicht lösen kann.
Wenn die Zentralbanker von «structural issues» reden, geht es i.d.R. um die wichtigen Themen wie «langfristige Beschäftigung» und «Wirtschaftswachstum».
Seit 2008 haben die Zentralbanken in der Tat noch nie dagewesene (unkonventionelle) Entscheidungen getroffen, die die Grundsätze der geldpolitischen Orthodoxie in Frage stellen, durch wie z.B. QE («quantitative easing»), «forward guidance», negative Zinsen, makro-prudenzielle Massnahmen, Interventionen am Devisenmarkt usw.).
Gemäß der geldpolitischen Orthodoxie, die sich seit den 1980er Jahren herausgebildet hat, haben es die Zentralbanken vermieden, offen Verantwortung für die Finanzstabilität oder realwirtschaftliche Ziele, einschließlich der Schaffung von Arbeitsplätzen, zu übernehmen.
Das Mantra war, dass die Geldpolitik nur die Höhe der Inflation beeinflussen kann, während die langfristige Beschäftigung und das Wirtschaftswachstum von der Strukturpolitik bestimmt werden.
Laut der «monetären Dominanz» darf die Geldpolitik niemals an die finanzpolitischen Maßnahmen des Staates angepasst werden.
Doch
ein Jahrzehnt unkonventioneller Politik hat das Festhalten an diesen Grundsätzen erschüttert. Aus heutiger Sicht haben sich die Zentralbanken routinemäßig mit der Finanzstabilität befasst, haben oft die Verantwortung für Wirtschaftswachstum und soziale Ziele übernommen und die Grenzen der «geldpolitischen Dominanz» verwischt, indem sie mit den Finanzpolitikern zusammenarbeiteten, um dringende wirtschaftliche und soziale Herausforderungen zu bewältigen.
wie Manuela Moschella in ihrem unbedingt lesenswerten neuen Buch zum Ausdruck bringt.
Die gegenwärtige Aussage der EZB, dass die «Geldpolitik strukturelle Probleme nicht lösen kann», ist vor diesem Hintergrund fragwürdig und leuchtet nicht ein.
Anerkennend, dass die Geldpolitik zwar keine vollständige Lösung für strukturelle Probleme bieten kann, muss aber festgehalten werden, dass bestimmte zugrunde liegende strukturelle Probleme beeinflusst oder abgemildert werden können:
Die Geldpolitik, insbesondere niedrige Zinssätze, können den Zugang zu Finanzmitteln für investitionsbedürftige Branchen erleichtern und so möglicherweise langfristige strukturelle Veränderungen fördern. So kann ein längerer Zeitraum mit niedrigen Zinsen Anreize für Investitionen in Infrastruktur, Technologie oder grüne Initiativen schaffen und so die Wirtschaftsstruktur allmählich verändern.
Strukturelle Ungleichheit wird oft durch Wirtschaftszyklen verschärft. Durch den Einsatz von Instrumenten wie QE oder gezielten Kreditvergabe-Programmen können die Zentralbanken versuchen, das Kapital gerechter über verschiedene Sektoren oder Regionen zu verteilen.
Die strukturelle Arbeitslosigkeit kann teilweise durch eine akkommodierende Geldpolitik angegangen werden, die die Vollbeschäftigung fördert. Wenn die Zentralbanken Bedingungen aufrechterhalten, die das Beschäftigungswachstum fördern, können sie Unternehmen dazu ermutigen, in die Ausbildung und Qualifizierung von Arbeitnehmern zu investieren.
Die Reaktionen und Maßnahmen der Fed im Zuge der GFC 2008 und der COVID-19 Pandemie Krise 2020 zeigen jedoch deutlich, dass die Geldpolitik mit den fiskal-politischen Entscheidungsträgern (Maßnahmen) zusammenarbeiten kann, um akute wirtschaftliche und soziale Herausforderungen anzugehen.
Es gilt zu verstehen, wie dieser Wandel zustande kam und welche Auswirkungen er auf die künftige Rolle der Zentralbanken in den nationalen Gesellschaften hat.
Fazit: Die EZB ist in vielerlei Hinsicht „hinter der Kurve“, sowohl technisch als auch praktisch.