Manuela Moschella: Unexpected Revolutionaries – How Central Banks Made and Unmade Economics Orthodoxy, Cornell University Press, 2024
Das vorliegende neue Buch unternimmt den Versuch, Licht auf die Frage zu werfen, was die tiefgreifenden Entscheidungen zur Transformation des Zentralbankwesens in den vergangenen 15 Jahren beeinflusst hat.
Die besonderen Eigenschaften, welche die Zentralbanken in den Industrieländern kennzeichnen, sind allgemein bekannt: «Ruf» und «Glaubwürdigkeit».
Weitere Stichworte sind «Konservativität» und «politische Neutralität», wobei Konservativität sich auf die Bedeutung, die die Zentralbanker einer niedrigen Inflation im Verhältnis zu anderen makroökonomischen Zielen beimessen, bezieht. Und politische Neutralität betrifft den Vorrang des Grundsatzes „Wissenschaft vor Diskretion“.
Die herkömmliche Sichtweise vor diesem Hintergrund betrachtet Zentralbanken als unabhängige und Expert-orientierte Institutionen, die langweilig und vorhersehbar sind.
Das eng gefasste Mandat, das auf Preisstabilität ausgerichtet ist, und eine strikte Trennung der Zuständigkeiten zwischen Geld- und Fiskalpolitik voraussetzt, trug (bislang) dazu bei, eine orthodoxe Denkweise über Zentralbanken in den einzelnen Ländern zu pflegen, ohne auf Widerstand zu stossen.
Die Erfahrung der Inflationsbekämpfung in den 1970er und 1980er Jahren war nämlich für die Wirtschaftstheorie und -politik so entscheidend, dass sie allgemein als das bestimmende makroökonomische Ereignis der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gilt.
Doch die Welt hat sich inzwischen verändert. Im Sog der Folgen der Krisen von 2008 (GFC) und 2020 («Great Lockdown») löste die Deflation die Inflation als größtes wirtschaftliches Problem ab, mit dem sich die Gesellschaften auseinandersetzen mussten. Die Entstehung eines deflationären Kontextes hat den Ruf der Zentralbanken ohne Zweifel in Frage gestellt.
Die Wissenschaft, die sich mit der Entwicklung der Zentralbanken beschäftigt, interpretiert den Wandel mittlerweile als eine grundsätzlich technokratische Angelegenheit. Die gängige Erzählung lautet im Wesentlichen so, dass die Zentralbanken sich an veränderte wirtschaftliche Umstände angepasst hätten, weil ihre Unabhängigkeit ihnen die institutionelle Handlungsfähigkeit verliehen hat (als „die einzige Möglichkeit“).
Doch Manuela Moschella stellt dieses technokratische Argument taktvoll in Frage. Zentralbanken sind letztlich ihrer Ansicht nach Instanzen öffentlicher Institutionen und benötigen politische Unterstützung, um ihre Macht zu rechtfertigen und ihre Existenz zu sichern.
Aus dieser Perspektive ist der Ruf eine der wichtigsten Ressourcen, über die Zentralbanken verfügen, so die Professorin für Politikwissenschaft an der Fakultät für Politik- und Sozialwissenschaften der Universität Bologna.
Und der Schutz ihres Rufs führte laut Autorin dazu, dass sie sich nur dann von etablierten Geldpolitik-Praktiken abwandten, wenn es politische Unterstützung für Abweichungen gab.
Die Autorin deutet mit Nachdruck darauf hin, dass die Rettung der Banken in den USA im Sog der GFC 2008 durch die Fed ohne die Zustimmung von Washington nicht möglich gewesen wäre.
Auch die unorthodoxesten Entscheidungen der EZB, einschließlich der Programme zum Ankauf von Vermögenswerten, wurden den Interventionen der Regierungen der Eurozone untergeordnet.
Kurz gesagt, die Leistung der Fed und der EZB während der Krise zeigt, dass die Koordinierung der Politik häufig eine Voraussetzung für das Handeln der Zentralbanken war, anstatt „the only game in town“ zu sein, wie das Mainstream-Argument lautet.
Zentralbanken sind einfach mehr als technokratische Akteure, deren Verhalten durch die ihnen gewährte Unabhängigkeit oder durch die Ideen, die Währungsexperten entwickeln und akzeptieren, bestimmt wird. Zentralbanken sind auch politische Akteure, und als solche müssen sie ihr Verhalten darauf ausrichten, sich die politische Unterstützung zu sichern.
Obwohl eine Analyse der Wirksamkeit der Reaktionen der Zentralbanken über den Rahmen dieses Buches hinausgeht, betont die Autorin sorgsam strukturiert, dass die Zentralbanken bei der Bekämpfung einer zu niedrigen Inflation nicht so schnell reagierten wie in der Vergangenheit bei der Bekämpfung einer zu hohen Inflation.
Die angebliche Symmetrie des Preisstabilitätsmandats, wonach die Zentralbanken auf inflationäre und deflationäre Kräfte gleichermaßen reagieren sollen, ist nicht so asymmetrisch, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.
Die wiederholten Forderungen nach einer Normalisierung der Geldpolitik und nach Ausstiegsstrategien sowie die Umsetzung ihrer unkonventionellen Maßnahmen sind unterdessen weitere Beispiele für die Vorbehalte, mit denen die Zentralbank eine Rückkehr zur üblichen Geldpolitik signalisieren: eine konservative («inflation hawks») und quasi unpolitische (d.h. neutrale) Institution.
Doch es ist offensichtlich, dass die Anpassung der Reflationspolitik oft staatliche Unterstützung und eine Koordinierung zwischen Geld- und Fiskalpolitik erfordert, wie die Autorin vornehmlich zum Ausdruck bringt.
Eine Abstimmung mit den Finanzbehörden war eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Zentralbanken ihre Reputationsbedenken überwinden und in einem Abschwung die notwendige Unterstützung bieten konnten. Eine stärkere Abstimmung mit den Finanzbehörden könnte dabei helfen, die Inflation unter Kontrolle zu bringen, ohne das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung zu beeinträchtigen.
In Anlehnung an die jüngste Forschungsarbeit von Isabella Weber, hebt Moschella hervor, dass die Fiskalpolitik Preiskontrollen einführen kann, um den Preisanstieg bestimmter Waren durch bestimmte Unternehmen zu begrenzen.
Die Autorin führt mit Eleganz vor Augen, dass der enorme Einfluss der Notenbanken während der Krisenbewältigung und in deren Nachwirkungen nicht unbemerkt geblieben ist und die Sorge neu entfacht hat, dass ihre Macht übermäßig und unkontrolliert geworden ist. Die Politisierung der Geldpolitik ist für die Umgestaltung der Notenbanken von besonderer Bedeutung. Das Prinzip der Unabhängigkeit dürfte eigentlich das gegenteilige Verhalten hervorrufen.
Die tiefgreifenden Analysen von Manuela Moschella liefern empirische Unterstützung für eine wichtige Erkenntnis, nämlich dass die Unabhängigkeit der Zentralbanken die Geldpolitik nicht entpolitisiert. Selbst wenn sie von unabhängigen Behörden durchgeführt wird, gibt es in der Geldpolitik immer „Gewinner und Verlierer“.
Dass die Zentralbanken der Gesellschaft „zuhören“ (sollen), ist eine willkommene Erinnerung daran, dass die Geldpolitik keine technische Angelegenheit ist, die weit entfernt vom Alltagsleben der Bürger ist.
Manuela Moschella zeigt mit viel Feinfühligkeit und auffälliger Genauigkeit fundiert auf, wie die Transformation des Zentralbankwesens das neoliberale makroökonomische Regime eindeutig in Frage stellt.
Erstens wurden in der Krisenzeit die Vorteile der Globalisierung einer genaueren Überprüfung unterzogen. Zweitens hat die Zeit zwischen 2008 und 2020 auch die zunehmende Ungleichheit innerhalb kapitalistischer Volkswirtschaften deutlich offengelegt.
Die damit einhergehende Transformation des Zentralbankwesens birgt zwar das Potenzial, das neoliberal geprägte und geplagte makroökonomische Regime zu verändern.
Dennoch dürfen wir die Lehren aus den Jahren 2008 bis 2020 nicht aus den Augen verlieren, da der vorübergehende Anstieg der Preise im Service-Sektor im Gefolge der Corona-Pandemie eine Rückkehr zur „normalen“ Geldpolitik herbeiführen könnte, v.a. energisch angetrieben von Defizit-Hawks.
Eine meisterhafte Quelle für die institutionelle Transformation des Zentralbankwesens. Unbedingt lesenswert.