Jake Rosenfeld: «You’re Paid What You’re Worth» - And Other Myths of the Modern Economy, The Belknap Press of Harvard University Press, London, UK, 2021,
Wovon hängt unsere Vergütung ab?
Es gibt laut Jake Rosenfeld vier Elemente, die unsere Bemühungen kanalisieren, einen größeren Anteil an den Einnahmen der Organisation, wo wir arbeiten, zu bekommen:
Die Festlegung von Löhnen und Gehältern ist immer mit der Ausübung von Macht (power) verbunden und stellt das Ergebnis vergangener und manchmal noch andauernder Machtkämpfe dar.
Trägheit (inertia) ist der zweite grundlegende Bestandteil bei der Lohnfestsetzung. Uns wird entweder genau gesagt, was wir verdienen würden, oder es wird uns ein kleiner Verhandlungsspielraum eingeräumt.
Die Nachahmung (mimicry) ist das dritte entscheidende Element, das unsere Gehaltsschecks beeinflussen kann. Es beschreibt ein allgemeines Verfahren, bei dem unser Arbeitgeber den üblichen Satz für unsere Position in unserer Branche zahlt. Viele Arbeitgeber legen ihre Gehaltstabellen erst dann fest, nachdem sie andere Unternehmen untersucht und deren Praktiken kopiert haben.
Gerechtigkeit (equity) - der Gedanke der gerechten Bezahlung - ist die vierte und letzte wesentliche Komponente bei der Festlegung der Vergütung.
Wenn es darum geht, warum wir so bezahlt werden, wie wir bezahlt werden, sind viele Akademiker, Arbeitnehmer und Lohn-Festsetzer in den USA der Meinung, dass «die individuelle Leistung» (performance) der entscheidende Faktor ist. Und sie denken zudem auch, dass das genauso sein sollte.
Die Frage ist aber, ob sie Recht haben?
Nein, schreibt Rosenfeld, Professor für Soziologie an der Washington University in St. Louis, und legt seinem neuen Buch die zwei gängigsten Lohnsetzungsmodelle als theoretischen Rahmen zugrunde, um zu erklären, warum der Fokus auf «unpersönliche Marktkräfte» empirisch unangemessen und als «Wegweiser für eine gerechtere Zukunft» immer weniger hilfreich ist.
Die "Humankapitaltheorie der Löhne und Gehälter" geht davon aus, dass der Verdienst von der Leistung des Einzelnen abhängt, d.h. dass unsere Gehaltsschecks den Wert widerspiegeln, den wir für unsere Unternehmen erbringen, und dass die Vergütung der Arbeitnehmer ihrer Produktivität entspricht.
Das "Berufsmodell" der Entlohnung hingegen legt nahe, dass der Beruf selbst, d. h. die Art der Tätigkeit, die wir ausüben, und die Ausbildung, Schulung und Zulassung, die erforderlich sind, um diese Tätigkeit zu erlangen und auszuführen, unsere Entlohnung bestimmen.
Das "Berufsmodell" der Entlohnung geht davon aus, dass der Beruf selbst, d. h. die Art der Tätigkeit, die wir ausüben, und die Ausbildung, Schulung und Zulassung, die erforderlich sind, um diese Tätigkeit zu erlangen und auszuüben, unsere Entlohnung bestimmen.
Im Grunde genommen ist der Schwerpunkt dieses Modells nicht unvereinbar mit dem Schwerpunkt des ersten vorherrschenden Modells.
Der Autor, der vor diesem Hintergrund die Schwächen der beiden Vorlagen aufzeigt, stellt die dargelegten theoretischen Ansätze klar in Frage.
Auf dem vom Humankapitalmodell unterstellten Arbeitsmarkt mit vollkommenem Wettbewerb sind sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber Preisnehmer, sie reagieren auf den marktbestimmten Lohn.
Trotz der Rhetorik, die den ungehinderten freien Markt propagiert, machen die Arbeitgeber oft Überstunden, um sicherzustellen, dass der Markt für Arbeitskräfte nicht funktioniert: Informationsasymmetrie, Wettbewerbsverbotsklauseln und Abwerbungsvereinbarungen verschleiern den Wert der Arbeitnehmer, behindern ihre Mobilität und unterdrücken den Wettbewerb auf den Arbeitsmärkten.
Untersuchungen ergaben, dass die Zahl der US-Arbeitsmärkte, in denen Arbeitnehmer nur wenige Beschäftigungsmöglichkeiten haben, in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat, und dass dieses Wachstum laut dem Autor eine Rolle dabei spielen könnte, die Löhne der Arbeitnehmer zu drücken.
Wettbewerbswidrige Praktiken wie Abwerbeverbote und die Verbreitung von Wettbewerbsverbotsklauseln schränken zudem die Mobilität der Arbeitnehmer ein und damit auch ihre Möglichkeiten, ihr Gehalt durch externe Angebote zu erhöhen.
Die gängigen Modelle beruhen im Wesentlichen auf drei falschen Annahmen:
dass es so etwas wie das Grenzprodukt eines Arbeitnehmers gibt, dass es berechnet werden kann und dass die Bezahlung der Arbeitnehmer auf der Grundlage dieses Wertes eine gute Idee ist.
Ein unglaublich häufiges Merkmal vieler Arbeitsplätze ist der fehlende Konsens darüber, was Produktivität ausmacht.
Bei vielen Arbeitsplätzen ist das Bemühen, die Grenzproduktivität zu messen, fehlgeleitet, und zwar nicht, weil nicht die richtigen Instrumente entwickelt wurden, sondern weil es keine Möglichkeit gibt, die Produktivität eines Arbeitnehmers von der der anderen Mitarbeiter im Unternehmen zu trennen.
Bei diesen Arbeitsplätzen sollte die Produktivität als kollektives Bestreben, als soziale Leistung, verstanden werden und nicht als die Summe der atomisierten Mitarbeiter, die individuell an der Erreichung des Unternehmensziels arbeiten. Man denke z.B. an Uni-Professoren, Journalisten, Polizisten, Krankenschwester usw.
Fazit: unsere Produktivität wird durch unsere Beiträge und die der Menschen um uns herum gemeinsam erzeugt.
Die Theorie des qualifikationsbasierten technologischen Wandels (steigende Ungleichheit resultiert aus technologischen Veränderungen, die das Bildungsniveau übersteigen) ist laut dem Autor eine doppelte Rarität unter den akademischen Ideen: sie hat nicht nur den Diskurs und die Entscheidungsfindung der Elite durchdrungen und beeinflusst, sondern auch die politische Linke und Rechte geeint.
Es ist an der Zeit, dass wir anfangen, Bildungsabschlüsse nicht mehr als automatische Triebfeder für die Bezahlung zu sehen, sondern als Ressource, die genutzt werden kann, um einen Anspruch auf höhere Einkommen zu erheben.
Der Wert eines Hochschulabschlusses (college degree) variiert nicht nur im Laufe der Zeit, sondern auch je nach Art der Arbeitnehmer und des Arbeitsplatzes.
Die Beziehung zwischen Bildungsabschlüssen und Gehalt ist nicht von vornherein festgelegt. Er ist lediglich eine potenzielle Quelle für höhere Löhne. Ihr Einfluss hängt davon ab, wie mächtige Akteure innerhalb von Organisationen sie im Vergleich zu anderen Quellen, die bei der Gehaltsfestsetzung verwendet werden, gewichten.
Arbeitgeber, die mit einer Fülle von Bewerbern konfrontiert sind, verwenden den Nachweis zunehmend nur noch als Ausschlusskriterium und nicht mehr als genauen Indikator für das Humankapital einer Person.
Darüber hinaus zeigen Untersuchungen, dass die Ungleichheit nicht nur innerhalb von Berufen, sondern auch zwischen ihnen zugenommen hat.
Die grundlegende Geschichte der zunehmenden Ungleichheit in der letzten Generation ist eine massive Machtverschiebung innerhalb der US-Arbeitswelt, weg von den Arbeitnehmern und hin zu den Arbeitgebern und Aktionären.
Die Spaltung und die damit verbundene Annahme eines Shareholder-Value-Konzepts des Unternehmens tragen dazu bei, dass die Löhne vieler Arbeitnehmer, die nicht zur Elite gehören, stagnieren, vor allem wenn sie keinen Hochschulabschluss haben. Stichwort: Der Wandel in der Unternehmenskultur, der das Unternehmen eher als "ein Bündel von Verträgen" denn als "soziale Institution" definiert.
In diesem Buch wird argumentiert, dass Löhne und Gehälter innerhalb von Organisationen festgelegt werden und dass dieser Prozess von den vier Kräften Macht, Gleichheit, Mimikry und Trägheit gesteuert wird.
Die zunehmende Ungleichheit ist Ausdruck grundlegender Machtverschiebungen innerhalb unserer Organisationen, die normale Arbeitnehmer benachteiligen.
Eine gerechte Wirtschaft, in der sich Arbeit tatsächlich lohnt, erfordert drei große Veränderungen: die Anhebung der Lohnuntergrenze, die Ausweitung der Mitte und die Senkung der Obergrenze.
Das ist eine tiefgreifende Recherche, gestützt mit empirisch belegbaren Argumenten: eine erstklassige Leseempfehlung.