Die Rezession, die 2020 auf das Corona-Virus folgte, war nicht das Ergebnis eines makroökonomischen Prozesses.
Der erste bekannte Fall wurde im Dezember 2019 in Wuhan, China, festgestellt. Die Krankheit breitete sich schnell weltweit aus und führte zur COVID-19-Pandemie.
Da die Regierungen ihre Volkswirtschaften schlossen, um die akute Gefahr einzudämmen, kam es zu einem aussergewöhnlichen Abschwung.
Der öffentliche Sektor setzte, im Vorfeld der Wiederöffnung der Märkte, massive und größtenteils einmalige fiskalische Anreize ein, um die Einkommen des Privatsektors zu stützen.
Doch die enormen makroökonomische Verwerfungen sind alles in allem auf eine Vielzahl von Ursachen zurückzuführen, darunter:
massive Umschichtungen bei den Verbraucherausgaben (erst in Waren, dann in Dienstleistungen).
logistisches Chaos während der Wiedereröffnung, das einen gewaltigen Peitschenhieb («bullwhip effect») auf die Lieferketten ausübte.
weitere Versorgungsschocks durch den Krieg in der Ukraine (und jetzt möglicherweise die Krise am Roten Meer).
Nachholbedarf und sog. («revenge spending») "Revancheausgaben" aufgrund überschüssiger Ersparnisse der Verbraucher.
Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage auf den Arbeitsmärkten, insbesondere dort, wo die Zahl der Arbeitskräfte schrumpfte.
Schliesslich die verwirrenden Signale aus China (Immobilienkrise, Wachstumseinbruch usw.).
Dario Perkins, TS-Lombard befasst sich vor diesem Hintergrund in einem lesenswerten Blog-Eintrag mit der Frage, was die Mainstream-Ökonomie dabei falsch gemacht hat?
Die Antwort lautet: so gut wie alles.
Die Hauptfehler sind, kurz zusammenfassend, wie folgt.
Mangelhafte Frühindikatoren:
Finanzfachleute legten zu viel Gewicht auf die sog. "Frühindikatoren". Da die Indikatoren in erster Linie auf das verarbeitende Gewerbe und die Industrie ausgerichtet sind, wird die Gefahr einer Rezession im Allgemeinen übertrieben dargestellt.
Die Überraschung war, dass der Dienstleistungssektor und damit die Arbeitsmärkte sich, nachdem sich die Verbraucherausgaben von Waren auf Dienstleistungen verlagerten, widerstandsfähig zeigten.
Die irreführende Phillips-Kurve:
Die Ökonomen beobachten die Kombination aus hoher Inflation und niedriger Arbeitslosigkeit mit Argusaugen und nehmen an, dass dies ein Symptom für eine "Überhitzung" (overheating) sei.
Schlimmer noch, nach der Logik der Phillips-Kurve bedeutet dies, dass unweigerlich wirtschaftliche "Schmerzen" notwendig sind, um die Inflation wieder zu senken.
Die Mainstream-Ökonomen gingen daher davon aus, dass auch diesmal eine tiefe Rezession (mit einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit) erforderlich sei, um die Preisstabilität wiederherzustellen.
Verwirrung in Sachen Niveaueffekte:
Viele Marktbeobachter verwechselten einem einmaligen Anstieg des Preisniveaus mit dem Beginn einer Inflationsspirale.
Nur weil der Preisdruck auf breiter Front einsetzt, bedeutet dies jedoch nicht, dass er anhalten würde.
Die richtige historische Vorlage waren laut Dario Perkins die 1940er Jahre, insbesondere die Übergangszeit nach dem Zweiten Weltkrieg, nicht die 1970er Jahre. Und daraus musste heute nicht unbedingt eine "Lohn-Preis-Spirale" folgen.
Der Schlamassel, den ein halbes Jahrhundert andauernder Neoliberalismus (der die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer völlig vernichtet hat) hinterlassen hat, lässt sich nicht mit einem einmaligen fiskalischen Stimulus rückgängig machen.
Falsche Interpretation der Rendite-Kurve (yield curve):
Die Umkehrung der Zinsstruktur-Kurve war ein Zeichen für eine straffe Geldpolitik, aber nicht unbedingt ein Signal dafür, dass eine Rezession unvermeidlich war.
Eine weitere Frage lautet ferner, wie eine Rezession, zumindest bisher, vermieden wurde?
Dienstleistungssektor:
Der Aufschwung in diesem Sektor hat die Arbeitsmärkte über Wasser gehalten. Die Nachfrage im Dienstleistungssektor ist im Wesentlichen eine Nachfrage nach Arbeitskräften, wie Perkins elegant formuliert.
Angesichts des akuten Personalmangels nach der Pandemie haben die Unternehmen Arbeitskräfte gehortet («labor hoarding»). Ungewöhnlich hohe Gewinnmargen von Unternehmen sorgten zudem für ein Polster, das gleichzeitig vom Personalabbau abhielt. Ein weiteres Stichwort ist: «Gewinndruck-Inflation» (profit-driven inflation).
Verschuldung:
Es ist Unternehmen und Haushalten gelungen, die Laufzeit der Schulden zu verlängern.
Zusammen mit dem starken nominalen Einkommenswachstum hat dies die Wirtschaft - bis zu einem gewissen Grad - vor höheren Zinssätzen geschützt.
Da die Einkommen nicht berücksichtigt wurden, hat sich ein Großteil der Erwartungen über die Auswirkungen der geldpolitischen Straffung nicht bewahrheitet.
Fazit:
Die wichtigste Schlussfolgerung aus dieser unorthodoxen Analyse ist, dass sie zu unerwarteten Ergebnissen führen kann, wie z.B. einer "makellosen Disinflation" (immaculate disinflation), einer vorgetäuschten Rezessionsangst und einer "sanften Landung" (soft landing).
Während selbst der IWF inzwischen auch «soft landing» im eigenen Vokabular ausführt, unterstreicht BIS, «Bank for International Settlements» (Bank für Internationalen Zahlungsausgleich) nun (endlich) mit Nachdruck
In den 1970er Jahren waren die Lohnstückkosten der Haupttreiber der Inflation. In jüngerer Zeit haben jedoch die Stückgewinne («unit profits») diese Rolle übernommen. Empirische Belege deuten sogar darauf hin, dass die Stückgewinne ein Frühindikator für die Inflation sind.
Wenn Stückgewinne (“unit profits”) zu einem vorlaufenden Indikator für die BIP-Inflation werden, bedeutet dies, dass Veränderungen, die bei den Stückgewinnen beobachtet werden, Veränderungen der Gesamtinflationsrate, gemessen am Deflator des Bruttoinlandsprodukts (BIP), vorausgehen.
Diese Beziehung deutet darauf hin, dass Veränderungen bei den Stückgewinnen künftige Veränderungen des Inflationsdrucks in der Wirtschaft signalisieren können.
"Bidenomics" (pro-aktive Industriepolitik) hat den fehlgeleiteten Ansatz der vorherrschenden Wirtschaftsschule (Verkleinerung des Staats und Steuersenkungen für Wohlhabende) übertroffen.