Jerome Powell hat bei der Anhörung vor dem Repräsentantenhaus am Mittwoch gesagt, dass die US-Wirtschaft sich nach der Pandemie zwar deutlich erholt hat. Aber die Lage sei für eine Reduzierung der Wertpapierkäufe noch nicht reif genug.
Eine Drosselung der Anleihekäufe kommt also nur dann in Frage, wenn weitere substanzielle Fortschritte bei der Erreichung des Beschäftigungsziels der US-Notenbank erreicht werden.
Die Teilnehmer des geldpolitischen Ausschusses (FOMC) der Fed erwarten, dass die Fortschritte anhalten werden.
Bemerkenswert ist aber die Reaktion der Händler auf dem Markt für US-Treasury Bonds. Es ist wieder von einem Rätsel die Rede.
Wenn die Inflation steigt, ist theoretisch zu erwarten, dass die Anleger eine höhere Rendite von Anleihen verlangen, um die Aushöhlung der Kaufkraft auszugleichen. Jede Andeutung, dass die Zinsen steigen werden, sollte zu höheren langfristigen Renditen führen.
Doch die Renditen fallen, am langen Ende. Die Anleger sind bereitwillig, weiterhin TIPS, inflationsgeschützte US-Staatsanleihen zu kaufen, und zwar für eine Rendite von minus 1%.
John Authers liefert dazu eine besonders bizarre Abbildung, die den unterschiedlichen Verlauf der Pfade der Kerninflation und der 10-jährigen TIPS Rendite zeigt: die Renditen fallen, während die Inflation steigt.
Warum fallen die Renditen am langen Ende der Ertragskurve?
Der Anleihenmarkt sagt uns, dass wir uns um das Wachstum sorgen sollen, nicht um die Inflation. Die UST-Preise implizieren jetzt, dass die Inflation in 5 und 10 Jahren bei 2,1% pro Jahr liegen wird, unter von Erwartungen von 2,4% Anfang Mai.
Markteilnehmer scheinen die Ansicht zu vertreten, dass das Wachstum den Höhepunkt erreicht hat, obwohl die Wirtschaft ungewöhnlich stark ist.
Institutionelle Investoren, die von Aktienkursen auf Rekordhöhen profitiert haben, schichten in Anleihen um. Im Vergleich zu den niedrigen und negativen Zinsen in weiten Teilen der Welt bleiben US-Staatsanleihen für nicht-amerikanischen Investoren immer noch attraktiv.
Anleger, die auf einen Anstieg und nicht auf einen Rückgang der Zinsen gesetzt haben, sehen sich jetzt gezwungen, ihre SHORT Positionen aufzulösen.
Noch einmal: steigende Renditen und eine steiler werdende Kurve – die Lücke zwischen kurz- und langfristigen Zinssätzen - spiegeln im Allgemeinen Optimismus in Bezug auf das Wachstum wider, während fallende Renditen und eine flacher werdende Ertragskurve (yield curve) typischerweise eine bevorstehende Verlangsamung ankündigen.
Es ist daher nicht überraschend, dass viele Anleger angesichts der sinkenden langfristigen Zinsen und der Abflachung der Zins-Strukturkurve ein langsameres Wachstum (zu Beginn des Jahres) erwartet hatten.
Das, was heute aufgrund der fallenden Rendite als «Rätsel» (conundrum) interpretiert wird, leuchtet vor diesem Hintergrund wahrscheinlich etwas besser ein.
Lisa Shalett von Morgan Stanley gibt sich zuversichtlich und vertritt die Meinung, dass US-Treasury Bonds nicht auf eine Veränderung der wirtschaftlichen Ereignisse hindeuten, sondern dass sie sich aufgrund extremer technischer Faktoren von den fundamentalen Marktbedingungen abgekoppelt hätten.
Dazu gehören, wie sie kurz darlegt:
(1) Anleihekäufe durch die Zentralbank ($120Mrd. pro Monat):
Die Fed besitzt mittlerweile einen Rekordanteil von 24% des ausstehenden UST-Marktes.
(2) Rückgang der Anleihe-Emissionen:
Da die Staatsausgaben inzwischen zurückgefahren werden und die Steuereinnahmen steigen, wurde auch die Emission von Staatsanleihen verlangsamt, was die Zinsen weiter drückt.
(3) Investoren ausserhalb der USA:
Die Renditen der US-Treasury Bond im Vergleich zu den noch niedrigeren Renditen anderer Staatspapiere bieten aus Sicht ausländischer Investoren noch immer eine günstige Kauf-Gelegenheit.
(4) Pensionsfonds:
Pensionsfonds schichten im Zuge der starken Performance in allen wichtigen Anlageklassen (v.a. Aktien) nun einen grösseren Teil ihres Vermögens in Staatsanleihen um. Stichwort: Risikoreduzierung.
Fazit: Wir dürfen nicht vergessen, dass die Fed mit Nachdruck gesagt hat, eine Inflationsrate tolerieren zu wollen, die über ihrem Zielwert von 2% liegt. Und sie versucht verzweifelt, den bösen Gegenspieler der Inflation, die Deflation zu vermeiden.
Warum? Weil die Fed ihr eigenes Inflationsziel, wie die EZB in der Eurozone, seit einer langen Zeitperiode unterläuft.
Eine positive Inflationsrate fungiert als «Puffer», der die Wirtschaft davor bewahrt, in eine Deflation zu fallen.
Die US-Notenbank strebt daher eine Inflationsrate an, die irgendwo in der Nähe von «Goldilock»-Niveaus liegt, weder zu heiss noch zu kalt, um damit die negativen Folgen einer hohen Inflation oder einer Deflation weitgehend zu unterbinden.
In diesem Umfeld wären Investoren besser beraten, anstatt Tech-Aktien weiter nach oben zu jagen, sich auf die Auswahl von Aktien («stock-picking») zu konzentrieren, die fundamental mit starken Ertragskennzahlen ausgestattet sind und über einen freien Cashflow verfügen.