Jan Hatzius von Goldman Sachs hat neulich gesagt, dass «wir den am stärksten überhitzten Arbeitsmarkt seit den frühen 1950er Jahren haben».
Seiner Ansicht nach sollte dafür gesorgt werden, dass der Arbeitsmarkt sich abkühlt.
Aber wie?
Sollten die Neueinstellungen deutlich verlangsamt werden?
Nein. Es gibt einen anderen Weg: Wie wäre es, wenn mehr Menschen in den Arbeitsmarkt eintreten?
Das US-Arbeitsministerium hat am Freitag berichtet, dass die Wirtschaft im April saisonbereinigt 428,000 neue Arbeitsplätze geschaffen hat.
Die Daten zeigen, dass die Beschäftigung in rasantem Tempo wächst. Die Arbeitslosenquote, die auf einer separaten Umfrage basiert, ist bei sehr niedrigen 3,6% geblieben.
Je geringer das Angebot an Arbeitskräften wird, desto mehr steigen die Löhne und desto schwieriger wird es, die Inflation wieder unter Kontrolle zu bringen. Das ist zumindest der Eindruck, der die Fed zuletzt hinterlassen hat.
Im März kamen auf jeden Arbeitslosen 1,9 offene Stellen.
Die Arbeitslosenquote ist zwar rückläufig. Aber es gibt keine Vollbeschäftigung. Was die ganze Welt will, ist eine gute Arbeitsstelle. Auffällig ist der Anstieg der unfreiwilligen Teilzeitbeschäftigung. Das neue Phänomen heisst daher Unterbeschäftigung.
Vor diesem Hintergrund vertritt Prof. Danny Blanchflower die Meinung, dass die Arbeitslosenquote als Metrik für die Flaute auf dem Arbeitsmarkt ausgedient hat.
Unterbeschäftigung ist die neue Messgrösse, und zwar im Zusammenhang mit der Erwerbsquote (labor force participation rate).
Im Allgemeinen ist die Arbeitslosigkeit in erster Linie ein Problem der Wirtschaftspolitik (z.B. ausgelöst durch fiscal austerity) und der Unternehmen, welche z.B. in der Eurozone seit mehreren Jahren netto-Sparer sind.
Wenn die gesamtwirtschaftliche Nachfrage unterhalb des produktiven Kapazitätsniveaus der Wirtschaft bleibt, entsteht Arbeitslosigkeit und das (Human)-Kapital liegt ungenutzt herum.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Volkswirtschaft nicht linear verläuft. Ein Sachverhalt, den jeder kennt, ist zudem, dass Rezessionen die Arbeitslosigkeit mehr erhöhen als Booms diese reduzieren.
Wenn der Arbeitsmarkt voll funktionsfähig ist, gibt es ein vielfältiges Angebot an Arbeitsplätzen, so dass die Arbeitnehmer einen Arbeitsplatz mit der für sie passenden Stundenzahl finden können.
In der Zeit nach der Rezession (GFC 2008) sahen viele Arbeitnehmer und insbesondere Berufsanfänger einer Einschränkung ihrer Arbeitszeit gegenüber.
Ein empirischer Befund ist, dass die Unterbeschäftigung die Löhne senkt und die Überbeschäftigung sie anhebt, während Arbeitslosigkeit keine Auswirkungen hat.
Doch das Lohnwachstum, das sich an der Produktivität des Landes plus der Zielinflationsrate der Notenbank orientiert, animiert die Binnennachfrage und kurbelt die Konjunktur an. Nur so kann es in Zukunft genügend Arbeitsplätze geben.
Die Beschreibung des gegenwärtigen Arbeitsmarktes als «überhitzt» trifft daher, bei allem Respekt, einfach nicht zu.
Die Erwerbsquote - der Anteil der Arbeitnehmer, die einen Arbeitsplatz haben oder aktiv einen suchen - lag im vergangenen Monat bei 62,2% gegenüber 63,4% im Februar 2020. Das sieht wirklich nicht nach Überhitzung aus.
Der Grund dafür, dass die Arbeitslosenquote trotz gesunkener Beschäftigungszahlen niedrig ist, liegt darin, dass man aktiv nach Arbeit suchen muss, um als arbeitslos zu gelten. Viele Menschen tun das nicht.
(*) Lohnentwicklung im Euroraum: 2022: +3% und 2023: +2,5%; d.h. im Einklang mit dem Inflationsziel von 2% - Es gibt keine Anzeichen für das Auftreten von Zweitrundeneffekten der Inflation.