Die Beveridge-Kurve ist ein einfaches ökonomisches Modell, welches dazu beiträgt, den Arbeitsmarkt zu analysieren, indem es die umgekehrte Beziehung zwischen der Arbeitslosenquote und der Zahl der offenen Stellen erfasst.
Während sich die Daten in den letzten zwei Jahrzehnten in Abhängigkeit von wirtschaftlichen Bedingungen leicht verschoben haben, hat die COVID-19 Pandemie das bestehende Muster drastisch verändert, berichtet Richmond Fed in einer aktuellen Studie.
Wenn sich die Wirtschaft verbessert, neigt sich die Kurve steil nach oben. Und zuletzt hat der starke Anstieg der offenen Stellen den Rückgang der Arbeitslosenquote übertroffen.
Das Ausmass dieser Veränderungen ist historisch beispiellos.
Verschiebungen, veränderte Qualifikationsanforderungen und geografische Streuung können eine Rolle spielen. Es ist jedoch noch vieles unbekannt, was die Verschiebung ausgelöst hat, lautet das Fazit der Ökonomen im Dienst der Richmond Fed.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Unternehmen seit geraumer Zeit über «Mangel an Arbeitskräften» klagen. Tatsache ist jedoch, dass es keinen Arbeitskräftemangel gibt, wenn man anständige Löhne bietet.
Ein aktuelles Beispiel ist Amazon. AMZN will vor der geschäftigsten Zeit des Jahres für Einzelhändler 150’000 saisonale Mitarbeiter einstellen.
Der E-Commerce-Riese bietet “lukrative Anreize”, um inmitten einer Lieferkettenkrise («supply-chain») und eines angespannten Arbeitsmarktes Talente anzulocken. Das Durchschnittsgehalt für Saisonarbeitskräfte beginnt bei 18 USD pro Stunde, und es gibt Bonuszahlungen von bis zu 3’000 Dollar.
Seltsam ist vor diesem Hintergrund, wie sich manche Markt-Beobachter angesichts jahrzehntelanger unzureichender Investitionen in die Infrastruktur und das verarbeitende Gewerbe über Knappheit und Engpässe jammern.
Praktisch jede Branche spricht heute vom Druck des «Arbeitskräftemangels». Im August kündigten fast 4,3 Millionen Amerikaner ihren Arbeitsplatz. Die Arbeitnehmer strebten nach «höheren Löhnen, entschieden sich für einen anderen Lebensstil oder es fehlte an erschwinglicher Kinderbetreuung».
Gehälter, Arbeitszeiten und Standortflexibilität sind entscheidend, um Arbeitskräfte zu gewinnen.
Es ist inzwischen auf beiden Seiten des Atlantiks unumstritten, dass die mangelhaften Investitionen in Infrastruktur, Umweltschutz, Bildung und Kinderbetreuung auf den harschen Sparkurs der Wirtschaftspolitik à la Neoklassik zurückzuführen sind.
Bekannt ist die illusionäre Sparpolitik («fiscal austerity») in der EU als das Konzept der «schwäbischen Hausfrau»: man könne nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben. Stichwort: «Schuldenbremse».
Doch es handelt sich dabei um einen Trugschluss der Komposition. Die Ausgaben des einen sind nämlich die Einnahmen des anderen. Was für einen einzelnen Haushalt oder ein Unternehmen (auf der einzelwirtschaftlichen Ebene) sinnvoll sein mag, muss nicht unbedingt auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene gelten («Sparparadoxon»).
Wenn in einer schweren Krise alle sparen, sinkt die gesamte Nachfrage. Deshalb muss der Staat in die Bresche springen, und öffentliche Investitionen erhöhen, um die mangelhafte Nachfrage auszugleichen.
Mangel an Wachstum führt zu Unterbeschäftigung («underemployment»).
Die neoklassische Sichtweise verkennt, dass Löhne für Arbeitnehmer sowohl Kosten als auch Einkommen darstellen. Wenn die Löhne um x % gekürzt werden, haben die Arbeitnehmer x % weniger Einkommen und müssen ihre Ausgaben um x % kürzen.
Der US-Unternehmenssektor schwimmt in Geld.
Warum fördern Unternehmen, die im historischen Vergleich besonders hohe Gewinne erzielen, nicht die Beschäftigung (investieren in Humankapital), anstatt sich über den Mangel an Arbeitskräften zu beklagen?
Eine Antwort liegt auf der Hand: Aufgrund des Shareholder-Konzepts ist der Wettbewerb zu einem Wettlauf um die Macht geworden, und die Unternehmen konkurrieren zum Teil dadurch, dass sie soziale und ökologische Nebeneffekte erzeugen, für die sie nicht bezahlen müssen.