Adrienne Buller: The Value of a Whale – On the Illusions of Green Capitalism, Manchester University Press, 2022.
Wale sind elegante, intelligente und sozial-versierte Säugetiere: sie atmen Luft durch die Lunge. Weniger bekannt ist, dass sie als "Sentinel-Arten" für unser eigenes klimatisches und ökologisches Schicksal gelten.
Wale haben nämlich eine ähnliche Bedeutung wie Bäume im Wald. Doch halten wir sie für schützenswert?
IWF-Forscher versuchen vor diesem Hintergrund, herauszufinden, was der Wert eines Wals ist. Und sie einigen sich auf einen Wert von 2 Millionen Dollar pro Exemplar (nur für Großwale), was sich auf eine beeindruckende Summe von 1 Billion Dollar für den bestehenden weltweiten Bestand summiert.
Im Laufe ihres Lebens binden Großwale im Durchschnitt das Äquivalent von 33 Tonnen Kohlendioxid, was mehr pro Pfund ist als ein Baum. Das heisst: ein grosser Speicher für Kohlenstoff.
Wal-Kot enthält ausserdem Stickstoff, Phosphor und Eisen, wichtige Nährstoffe, die das Phytoplankton im Wasser sprießen lassen. Diese Meeresalgen sind 50% der weltweiten Sauerstoffproduktion verantwortlich.
Die IWF-Forscher schlugen zum Schluss ihrer Studie ernsthaft vor, in den Schutz der Wale zu investieren, statt in andere Methoden zur Kohlenstoffbindung. Sie schätzten die Kosten für einen solchen Schutz auf bescheidene 13 Dollar pro Person auf der Erde. 13 Dollar!
Adrienne Buller will mit diesem Buch aufzeigen, was in der gängigen Klima- und Umweltpolitik falsch läuft, von der Kohlenstoff-Bepreisung («carbon pricing») und den Kompensationsmärkten bis hin zu "grünem Wachstum", der Kommodifizierung der Natur («nature as a source of capital») und dem wachsenden Einfluss der Finanzindustrie auf die Umweltpolitik.
Die vorgeschlagenen "Lösungen" sind nicht wirklich Lösungen, weil sie auf das marktorientierte Denken zurückgehen, welches eine Zukunft untergräbt, in der alles Leben gedeihen kann.
Die Annahmen und der irreführende Pragmatismus der Mainstream-Ökonomie sind m.a.W. längst überholt, wie die Autorin im Buch öfters betont:
«Wir sollten uns eher mit der Wirksamkeit («effectiveness») der Reduzierung von Treibhausgasen als mit der Effizienz («efficiency») der Bemühungen befassen».
Anstatt den Markt mit Hilfe von Preismechanismen («natural capital approach») entscheiden zu lassen, wo die Anstrengungen liegen sollen, ist es unendlich viel einfacher, einen kohärenten Reduktionsplan aufzustellen, um sicherzustellen, dass das Gesamtziel rechtzeitig erreicht wird, argumentiert die Autorin.
«Unser Hauptanliegen muss es sein, die klimatische und ökologische Stabilität zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass wir dabei keine tiefgreifenden Ungerechtigkeiten schaffen, und nicht, wie hoch die Kosten sein werden».
Es ist ein offenes Geheimnis, dass das Wachstum (als Gebot einer markt-orientierten und neoliberalen Governance gegenüber Alternativen) der kapitalistischen Wirtschaft inhärent ist und dazu dient, Handlungen zu rechtfertigen und politisch zu legitimieren, die mit ökologischer Stabilität nicht zu vereinbaren sind.
Das ist, was die Autorin, Senior Fellow bei Common Wealth, einer progressiven Denkfabrik, die sich auf den Aufbau einer demokratischen Wirtschaft konzentriert, kurz als «green capitalist framework» beschreibt.
Das heisst, dass profitorientierte Lösungen («economically valuing nature») Gefahr laufen, die Ungleichheiten zu verschärfen, die die ökologische Krise in erster Linie verursachen. Aus diesem Grund hält die Autorin die Lösungen des grünen Kapitalismus, ob Kohlenstoffpreise, ESG oder Habitat Banking, für selbstzerstörerisch.
Das Ziel dieses Buches ist es nicht, ein Manifest mit Lösungen für die ökologische Krise zu liefern, sondern eine Bestandsaufnahme zu machen, wo wir stehen, und zu versuchen, die vielen Akteure, Ideen und Systeme, die die Welt so aus der Bahn werfen, zusammenzufassen.
Heute gibt es in den Ozeanen massenhaft mehr Plastik als es Wale gab, bevor der kommerzielle Walfang ihre Populationen zerstörte. Wie viel ist uns ein Wal wert?
Ein fesselndes, progressives Buch, überaus ehrlich verfasst.