Emmanuel Saez and Gabriel Zucman: The Triumph of Injustice - How the Rich Dodge Taxes and How to Make Them Pay, W.W.Norton, 2019.
Kamala Harris und Donald Trump werden sich bei der Wahl am 5. November ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Frau Harris ist seit 2021 Vizepräsidentin in der Regierung von Joe Biden und gilt als gemäßigte Demokratin, während Trump seine Partei nach seinem Bild umgestaltet hat und einen radikaleren Wandel anstrebt.
Ein politisches Thema, das Trump in den Mittelpunkt seiner Kampagne gestellt hat, ist die Einwanderung. Bei seinen Wahlkampfveranstaltungen im ganzen Land hat er Massenabschiebungen von Millionen von Einwanderern versprochen, die sich ohne Genehmigung im Land aufhalten.
Harris hat vor allem erklärt, dass sie eine parteiübergreifende Vereinbarung im Kongress wiederbeleben würde, wenn es darum geht, die Einwanderungspolitik der USA anzugehen.
Ein zweites Top-Thema betrifft die Steuern.
Harris hat bekräftigt, die Steuern für Millionen von Familien mit mittlerem und niedrigem Einkommen zu senken, und gleichzeitig nahegelegt, dass sie Steuererleichterungen für Unternehmer und Kleinunternehmer unterstützt. Und sie befürwortet auch die Abschaffung der Steuern auf Trinkgelder.
Trump hat für eine zweite Amtszeit versprochen, eine Reihe von Steuersenkungen, die er 2017 in Kraft gesetzt hat, zu verlängern und auszuweiten. Gleichzeitig hat er mit Nachdruck unterstrichen, den Körperschaftssteuersatz für Unternehmen, die ihre Produkte in den USA herstellen, von 21 % auf 15 % zu senken. Er hat auch gesagt, dass er Sozialversicherungsleistungen und Trinkgelder von der Einkommensteuer befreien würde.
Das vorliegende Buch befasst sich ausführlich mit der Frage, warum die Reichen besteuert werden sollten. Und die Antwort liegt auf der Hand: um den Armen zu helfen.
Jedes ernsthafte Nachdenken über die Besteuerung muss die Ungleichheit in den Mittelpunkt stellen, umso mehr in der heutigen Welt der zunehmenden Vermögenskonzentration.
Es ist daher von besonderer Bedeutung, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Hauptwirkung des Steuersystems nicht in der Beeinflussung der Wachstumsrate der Wirtschaft besteht, sondern in der Veränderung der Verteilung der wirtschaftlichen Ressourcen, weil es das verfügbare Einkommen jeder sozialen Gruppe verändert, aber auch die Anreize zur Einkommenserzielung und Vermögensbildung beeinflusst.
Die erste Frage, die sich vor diesem Hintergrund stellt, betrifft das Ziel. Was ist der ideale Steuersatz für den Reichtum?
Es gibt mehrere Möglichkeiten, über dieses Problem nachzudenken. Ein guter Ausgangspunkt ist laut Autoren die Theorie der sozialen Gerechtigkeit, die von dem Philosophen John Rawls formuliert wurde.
Rawls zufolge sind soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten akzeptabel, wenn diese Ungleichheiten den Lebensstandard der schwächsten Mitglieder der Gesellschaft erhöhen.
Übertragen auf die Steuerpolitik bedeutet dies, dass wir uns nicht mit den finanziellen Interessen der Reichen befassen sollten. Wir sollten uns nur darum kümmern, wie sich die Besteuerung der Reichen auf den Rest der Bevölkerung auswirkt.
Das Ziel sollte daher nicht sein, „die Reichen dazu zu bringen, ihren gerechten Anteil zu zahlen“ (ein etwas nebulöser Begriff), sondern sicherzustellen, dass der große Reichtum einiger den am wenigsten Wohlhabenden zugutekommt.
Das ist die Kernaussage dieses für aktuelle politische Trends relevanten Buches.
Konkret bedeutet dies, dass der Steuersatz gesenkt werden sollte, wenn die Anhebung des Spitzensteuersatzes zu einer Verringerung der Steuereinnahmen führt (z. B. weil die Wohlhabenden dadurch weniger arbeiten würden). In diesem Fall würde eine Senkung der Steuern für Reiche den Betrag der Einnahmen erhöhen, den die Regierungen für Gesundheit, Kinderbetreuung und andere soziale Dienste ausgeben können, die die Lebensbedingungen der Armen verbessern.
Umgekehrt gilt, so Saez und Zucman: Solange die Erhöhung des Steuersatzes zu Mehreinnahmen führt, sollte der Steuersatz weiter angehoben werden, denn höhere Einnahmen liegen im Interesse der am stärksten benachteiligten Mitglieder der Gesellschaft.
Der optimale Steuersatz für Reiche ist einfach der Steuersatz, der das größtmögliche Aufkommen bringt.
Und das macht Sinn, denn alle sind sich einig, dass ein zusätzlicher Dollar in den Händen eines armen Menschen viel mehr wert ist als in denen von Bill Gates.
Wenn das zu versteuernde Einkommen unelastisch ist, bedeutet dies, dass sich das ausgewiesene Einkommen bei einer Erhöhung der Steuersätze nicht wesentlich ändert. Ist das zu versteuernde Einkommen dagegen sehr elastisch, dann verringern hohe Steuersätze die Steuerbemessungsgrundlage so stark, dass sie kaum Einnahmen bringen und unerwünscht sind.
Das ist die Kardinalregel der optimalen Besteuerung, die so genannte Ramsey-Regel: Regierungen sollten nicht zu viel besteuern, was elastisch ist.
Die Autoren halten fest, dass die richtige Art und Weise, die Reichen im 21. Jahrhundert zu besteuern, drei wesentliche und sich ergänzende Bestandteile umfasst: eine progressive Einkommenssteuer, eine Unternehmenssteuer und eine progressive Vermögenssteuer.
Die Körperschaftssteuer stellt sicher, dass alle Gewinne besteuert werden, unabhängig davon, ob sie ausgeschüttet werden oder nicht: sie fungiert de facto als Mindeststeuer für die Wohlhabenden.
Die progressive Einkommensteuer sorgt dafür, dass Besserverdienende mehr zahlen.
Und eine progressive Vermögenssteuer bringt die Superreichen dazu, einen Betrag zu zahlen, der ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit entspricht.
Dieses von Emmanuel Saez und Gabriel Zucman erkenntnisreich verfasste Buch (über die Herausforderung des Steuerwesens im Kontext der demokratischen Institutionen) bietet eine tiefe Analyse und wertvolle Einblicke in ein drängendes Thema «Steuergerechtigkeit» sowie «Steuerhinterziehung durch die Reichen» und ermutigt Leser, sich mit dem Inhalt näher zu beschäftigen. Ein ausgezeichnetes Buch.
Zum Schluss ist es wichtig, zu versuchen, auch die Frage, ob dieses Steuersystem dem Wachstum schaden würde, zu beantworten. Die Geschichte deutet nicht darauf hin. In den 1950er Jahren beispielsweise wurde ein ähnliches Maß an Steuerprogression erreicht. Reiche Länder sind durch kollektive Ausgaben für Bildung, Gesundheit und andere öffentliche Güter wohlhabend geworden, nicht durch die Vergötterung der Superreichen.