Markus K. Brunnermeier: The Resilient Society, Endeavor Literary Press, September 2021, Colorado.
Die COVID19-Rezession war die schwerste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Im März 2020 befürchteten einige Beobachter, dass wir eine mit der Großen Depression von 1920 vergleichbare Krise erleben würden.
Die Pandemie ging in der Tat mit unvorhersehbaren Schocks und Verwerfungen einher. Auch die Finanzkrise von 2008 (GFC) hatte enorme gesamtwirtschaftliche Auswirkungen.
Die angedeuteten Reformen zur Förderung von Stabilität, sozialer Eingliederung und Nachhaltigkeit wurden nicht umgesetzt. Die globale Wirtschaftslage, die von Ungleichheit, Volatilität und Klimazusammenbruch geprägt ist, ist nach wie vor dysfunktional.
Jetzt bieten uns die wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie eine zweite Chance.
Es ist zwar ein offenes Geheimnis, dass moderne Gesellschaften in Folge des technischen Fortschritts zunehmend Risiken erzeugen, wie z.B. Umweltverschmutzung, Erderwärmung, industrielle Gefahren usw.
Aber die wirtschaftliche Fragilität war im Zuge der Corona-Pandemie so gravierend, dass unser gedankliches Bewusstsein in Sachen Risikobewältigung einschneidend wachgerüttelt wurde.
Kurzum hat die Pandemie uns gezwungen, alte Gewohnheiten zu überdenken. Und das stellt eine potenzielle Chance dar.
Dieses Buch schlägt vor diesem Hintergrund eine Veränderung unserer Denkweise und unserer sozialen Interaktionen vor.
Markus Brunnermeier erklärt, wie Krisen uns in grundlegender Weise erschüttern und uns dazu bringen, wahrzunehmen, dass es von entscheidender Bedeutung ist, dafür zu sorgen, dass mögliche Erschütterungen uns nicht außer Gefecht setzen.
Wenn wir gezwungen sind, mit neuen Technologien und neuen Ansätzen für das tägliche Leben zu experimentieren, können tiefgreifende Verbesserungen entstehen.
Der Autor stellt uns das Konzept und die Prinzipien der Resilienz vor.
Eine widerstandsfähige (resilient) Gesellschaft hängt von ihrer Fähigkeit ab, nach dem Auftreten eines Schocks geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um auf den vorherigen Wachstumspfad zurückzukehren, so Brunnermeier.
Ein belastbarer (resilient) Gesellschaftsvertrag (social contract) ist entscheidend für die Stabilisierung der Wirtschaft, die ihrerseits den Gesellschaftsvertrag stabilisiert.
Bei der Resilienz geht es um die Fähigkeit, einen Sturm zu überstehen und sich zu erholen.
Der Begriff "Resilienz" bezieht sich auf die Fähigkeit, sich wieder zu erholen, was sich von der Idee der "Robustheit" unterscheidet, bei der es um die Fähigkeit geht, Widerstand zu leisten. Manchmal ist Robustheit nicht der beste Weg nach vorn, erläutert der an der Princeton University lehrende Wirtschaftsprofessor.
Der Aufbau dieses tiefgründig intellektuell verfassten Buches ist so gestaltet, dass die einzelnen Abschnitte unabhängig voneinander gelesen werden können, wie z.B. global finance, global trade, climate change usw.
Im Kapitel («macroeconomic resilience») beispielsweise beleuchtet der Autor nüchtern, warum die Fiskalpolitik mehr Möglichkeiten hat als die Geldpolitik, in einem wirtschaftlichen Umfeld mit niedrigen Zinsen einzugreifen und eine schnelle Erholung herbeizuführen:
1) hohe Ersparnisse, 2) der demographische Wandel, 3) schwaches Wirtschaftswachstum (secular stagnation) und 4) die zunehmende Ungleichheit.
Ein wesentlicher Faktor, den Brunnermeier in Bezug auf die Eurozone jedoch auslässt, explizit zu erwähnen, ist sicherlich das europäische Wirtschaftsmodell, welches mit selbstauferlegten Einschränkungen wie beispielsweise Schulden- und Defizit-Kriterien 3%/60% (Maastricht Verträge) und «schwarze Null» in erster Linie einen Deflationsdruck erzeugt.
Dass der europäische Unternehmenssektor seit mehr als 10 Jahren Netto-Sparer ist, spricht Bände.
Es gibt keinen Zweifel daran, dass Deutschlands Abhängigkeit vom russischen Gas auf dem Mist des neoliberalen Wirtschaftskonzeptes gewachsen ist.
Die sicherlich gut gemeinte Politik des «Wandel durch Handel» mit Russland ist aber gescheitert, weil zu wenig in die Widerstandsfähigkeit investiert wurde, wobei dadurch auch die Kosten für die Gesellschaft gestiegen sind.
Die Pandemie hat gezeigt, dass Infrastruktur-Investitionen in bestimmten Bereichen von entscheidender Bedeutung sind, um Versorgungsunterbrechungen im Zusammenhang mit der Handelslogistik abzumildern.
Es kann daher nicht genug stark hervorgehoben werden, dass dem aktuellen Mangel an Widerstandsfähigkeit (resilience) der angeblich robusten Volkswirtschaft Europas das grundlegende Versagen des Neoliberalismus zugrunde liegt, wie Joseph Stiglitz in seiner Kolumne bei Project Syndicate unterstreicht.
Doch abgesehen davon werden wir unweigerlich mit zahlreichen Schocks konfrontiert werden, z. B. mit Cyber-Angriffen (die die kritischen Infrastrukturen lahmlegen könnten), künstlicher Intelligenz, Gen- und Biotechnik usw.
Resilienz erfordert flexible Reaktionen, zusätzliche Puffer und einen offenen Geist, um Lösungen zu finden, hält der Autor als Fazit fest. Die erfolgreiche Umsetzung des Gesellschaftsvertrags hängt vom Zusammenspiel von Regierungen, Märkten und sozialen Normen ab.
Ein Werk von Intelligenz, Ausgewogenheit und Allgemeinbildung.