Clara E. Mattei: The Capital Order - How Economists invested Austerity and paved the way to fascism, Chicago University Press, 2022.
Austerität geht i.d.R. mit einer Unterdrückung der Binnennachfrage und der «Flexibilisierung der Arbeitsmärkte» einher.
Doch diese in der Gegenwart etablierte Sichtweise dürfte laut Clara Mattei die Auswirkungen von Austerität dramatisch unterschätzen.
Die Autorin unternimmt daher in diesem Buch den Versuch, zu veranschaulichen, dass die Austerität, wie wir sie heute kennen, nach dem Ersten Weltkrieg als Methode zur Verhinderung des Zusammenbruchs des Kapitalismus entstanden ist. Mit anderen Worten ging es darum, den Faktor Kapital zu schützen und den Faktor Arbeit zu schwächen.
In der Tat zeigt die empirische Evidenz, dass die fiskalische Austerität nicht funktioniert, die erklärten Ziele wie z.B. Schuldenabbau und/oder Ankurbelung des Wirtschaftswachstums zu erreichen.
Dass aber die Austerität, sei es fiskalisch, geldpolitisch und/oder arbeitsmarktpolitisch, dennoch von den Regierungen immer wieder (zwanghaft) angewendet wird, ist eine Form des Wahnsinns, wie Mark Blyth in seinem lesenswerten Buch (2013) bezeichnet.
Vor diesem Hintergrund sieht Clara Mattei die Austerität nicht als Reaktion auf Wirtschaftskrisen, sondern auf Krisen des Kapitalismus per se.
Und die Austerität kommt hierbei als ein wichtiges Bollwerk zur Verteidigung des kapitalistischen Systems zum Einsatz.
Wenn die Autorin von einer Krise des Kapitalismus spricht, meint sie nicht eine Wirtschaftskrise, etwa in Form einer konjunkturellen Wachstumsschwäche oder einer Höhernotierung der Inflation.
Ihrer Ansicht nach befindet sich der Kapitalismus in einer Krise, da dessen Kernverhältnis (der Verkauf der Produktion gegen Profit) und seine beiden Grundpfeiler (das Privateigentum über die Produktionsmittel und die Lohnbeziehungen zwischen Eigentümern und Arbeitnehmern) von der Öffentlichkeit in Frage gestellt werden.
Gemeint ist eine Art Politikverdrossenheit, die Unzufriedenheitsbekundungen von Menschen, die in Missmut verzweifelt alternativen Formen der gesellschaftlichen Organisation Ausschau halten, weil v.a. die Unter- und Mittelschicht sich einem wirtschaftlichen Abstieg gegenübersieht, z.B. wegen der ausufernden Einkommensdisparitäten.
Meistens dient die Austerität hierbei dazu, den öffentlichen Aufschrei und die Streiks der Arbeiter zu unterdrücken - und nicht, wie oft behauptet wird, die Wirtschaftsindikatoren eines Landes spontan zu verbessern.
Damit der Kapitalismus wirtschaftliches Wachstum hervorbringen kann, so die Autorin, muss die soziale Beziehung des Kapitals in einer Gesellschaft einheitlich sein.
Das heisst, dass das Wirtschaftswachstum eine bestimmte sozio-politische Ordnung oder Kapitalordnung voraussetzt. Deswegen lautet der Titel des Buches: The Capital Order.
In diesem Kontext kommt der Austerität die Aufgabe, die Unantastbarkeit dieser sozialen Beziehungen zu gewährleisten.
Zusammenfassend untersucht dieses Buch die Geschichte, wie die Politik der Austerität im zwanzigsten Jahrhundert entstanden ist, insbesondere in Bezug auf ihre stärksten Ausprägung in den Nachkriegswirtschaften Großbritanniens und Italiens.
Das Buch liest sich wie eine Anklage, die erhoben wird, um auf die trüben wirtschaftlichen Perspektiven und die lädierte Sicherheit einer breiten Mehrheit der Bürger aufmerksam zu machen, wobei die Autorin grossen Wert darauflegt, Ross und Reiter zu nennen: Es ist eine fatale Ideologie, nicht unbedingt eine Folge der Wirtschaftspolitik per se.