Maurice Höfgen: Teuer! Die Wahrheit über die Inflation, ihre Profiteure und das Versagen der Politik, dtv, München 2023.
Inflation scheint derzeit gefangen zu sein, in Narrativen, die dazu angedichtet werden und damit trügerisch sind. Ein «comedy of errors» sozusagen.
Dabei ist Inflation kein schwarzes Loch, wie der Autor in der Einführung seines neuen Buches mit Nachdruck bekräftigt.
Inflation passiert nicht, Inflation wird gemacht, von Firmen, von Gewerkschaften, vom Staat, von uns allen.
Der epistemologische Blickwinkel ist daher der grösste Vorteil, sich nicht verführen und aufreizend zu lassen. Dazu ist dieses Buch da.
Preisanstiege beispielsweise bedeuten noch lange nicht, dass die Inflation steigt. Auch wenn die Preisanstiege dauerhaft sind und damit die Definition von Inflation erfüllen, sagt die Inflationsrate nicht viel aus.
Es geht im Allgemeinen darum, wer wie viel vom Kuchen bekommt: Der Kuchen ist der Wohlstand. Wer mehr Geld hat, kann sich ein grösseres Stück vom Kuchen kaufen. Deshalb setzen wir uns permanent mit Geld auseinander, so der Autor weiter.
Und der Hader um den Kuchen ist ein Verteilungskonflikt mit Gewinnern und Verlierern. Denn die Ausgaben des einen sind immer die Einnahmen eines anderen. Die reale Gefahr ist, dass im Gerangel um das grössere Stück vom Kuchen eine Spirale entsteht: die sog. Lohn-Preis-Spirale.
Die Lohnstückkosten sind dabei der grösste Kostenfaktor. Je stärker die Lohnstückkosten (unit labor cost) steigen, desto stärker steigen auch die Verbraucherpreise. So war es zum Beispiel in der Eurozone von 2000 bis 2019: stabile Löhne, Produktivität und Preise hängen über eine lange Frist zusammen.
Es gibt nach dem Lehrbuch zwei Arten von Inflation: Die eine, die auf der Angebotsseite (cost-push inflation) durch höhere Kosten entsteht und die andere, die auf der Nachfrageseite (demand-pull inflation) durch überhitzte Wirtschaft.
Es ist nach Adam Riese unumstritten, dass Energie der Preistreiber Nummer eins im Sommer 2022 war. Kriege sind zudem meistens mit Angebotsschocks verbunden, weil der Handel zum Erliegen kommt und Lieferketten zusammenbrechen.
Im Vergleich zu Kosteninflation, die aus Knappheiten und Krisen entstehen kann, entwickelt sich die Nachfrageinflation daraus, dass die Wirtschaft vollausgelastet ist, Unternehmen Gewinne einfahren und quasi keine Arbeitslosen gibt. Das heisst: wer Arbeit sucht, findet welche.
Kosteninflation ist in der Praxis viel wichtiger als die Nachfrageinflation, wie Maurice Höfgen zu Recht hervorhebt und doch erklärt, warum es schwieriger ist, allein die Inflationsrate korrekt zu messen und zu lesen, als man vielleicht denkt.
Der Autor zeigt ferner beherzt und allgemein verständlich die Ursachen der Inflation (z.B. Preisschock versus Inflation) auf und identifiziert Gewinner und Verlierer des Energiepreisschocks.
Dann richtet er kühn den Blick nach vorne. Er hält fest, dass die Aufgabenteilung in der Politik, die Zentralbank kümmert sich um die Inflation und die Minister der Regierung um Wachstum, Beschäftigung und Handel, sich mit der Dominanz des Neoliberalismus radikal geändert hat.
Im Sog der Ölpreiskrise in den 1970er Jahren wurden die Ideen von Keynes (ein aktiver Staat soll die Wirtschaft steuern) verdrängt. Und mit dem Aufstieg des neoliberalen Paradigmenwechsels wurde ein aktiver Staat zum Problem erklärt. Nicht die gewählten Politiker, sondern die Technokraten übernahmen das Ruder.
Unerschrocken widerlegt Höfgen oberflächliche Scheinargumente des amtierenden Bundesbankpräsidenten und verweist u.a. auf das naive Monetarismus-Experiment in den Siebzigern, um deutlich vor Augen zu führen, wie sich die Zentralbank blamiert hat.
Auch das EZB-Versagen (z.B. via anhaltende Unterbietung der Inflationszielrate im Zeitraum vor der Pandemie) bekommt sein Fett ab, was insbesondere die Inflationsprognose betrifft.
An den Ursachen für die derzeit hohen Preise ändern hohe Zinsen jedoch nichts. Deshalb lehnt der Autor die Zinserhöhungen der Zentralbanken als Mittel gegen die aktuelle Inflation strikt ab. Er fordert darüber hinaus, der EZB das Mandat für die Preisstabilität zu entziehen, da die gewählten Politiker die Inflation besser bekämpfen könnten.
Die EZB soll sich um die Finanzstabilität kümmern, statt um die Inflation. Zum Beispiel haben Tankrabatt und 9-Euro-Ticket geschafft, wovon die Zentralbank nur träumen kann: Die Massnahmen haben die Inflationsrate gesenkt, die Last der Verbraucher gelindert und Jobs gerettet.
Im Übrigen ist Schuldenbremse nicht eine Inflationsbremse, wie der deutsche Finanzminister gebetsmühlenartig wiederholt und uns weissmachen will. Deutschland kann sich aus der Inflation nicht heraussparen. Knappes Geld ist eine dumme und gefährliche Idee. Nötig sind höhere Staatsausgaben, d.h. öffentliche Investitionen (z.B. in erneuerbare Energien) und ein Ende der Schuldenbremse. Denn auch für grossangelegte Energiesparprogramme braucht es Geld.
Von einer Normalisierung der Geldpolitik zu sprechen, ist auch falsch, da höhere Zinsen nicht normal oder natürlich sind, sondern ein Konstrukt bzw. ein Ergebnis der Geldpolitik.
Im Übrigen ist auch der Abschnitt über Bitcoin («Im Schneeballsystem gegen Inflation schützen?») weitgehend keck geschrieben und köstlich zum Lesen.
Ein kühn verfasstes und in einem ausgeprägten Rahmenwerk präsentiertes, erfrischendes Buch, unerlässlich für die wirtschaftspolitische Weiterbildung.