Monika Stemmer: Staat Macht Geld, Westend Verlag, April 2023, Frankfurt am Main.
In der Corona-Krise hat die Europäische Kommission beschlossen, ein 750 Mrd. Euro schwere Paket zur Verfügung zu stellen, um die Wirtschaft in den Mitgliedsstaaten zu retten. Die Geldschöpfung fand in der Bilanz statt. Das heisst, dass die EU die Schulden übernommen hat: «deficit spending».
Doch der Begriff «Defizitausgaben» ist eigentlich nicht korrekt. Alle Staatsausgaben sehen gleich aus und werden in Form von Krediten per Tastenanschlag («keystroke») am Computer getätigt. Das Defizit existiert nur im Nachhinein.
Denn auf der aggregierten Ebene führt ein öffentliches Defizit zu einem nicht-staatlichen Überschuss (und ist identisch mit diesem). Und ein staatlicher Überschuss erzeugt ein nicht-staatliches Defizit. Das heisst: Die Verbindlichkeiten des Staates sind die Vermögen des privaten Sektors.
Die EZB hat das nötige Geld per Tastendruck geschaffen und via Banken zur EU-Kommission gesendet. Die Kommission hat es dann an die Regierungen der Mitgliedsstaaten weitergeleitet, zum Teil als nicht rückzahlbare Hilfe, zum Teil als Kredit zu günstigen Konditionen.
Wie die akute Intervention in einer (schweren) Krise zeigt, ist das Geld nicht knapp. Eine weitere, wichtige Lehre ist, dass die alten prozyklischen Schuldenbremsen und Strafzinsen auf keinen Fall wieder Anwendung finden dürfen. Denn das Aussetzen der Schuldengrenzen und die Investitionsprogramme wirken positiv.
Wenn z.B. ein Pizzarestaurant einen Gutschein für eine Gratispizza ausgibt, stellt der Coupon eigentlich eine Schuld dar. Die Schuld bleibt bestehen, bis die Gutscheine zur Einlösung vorgelegt werden, und wird dann vernichtet.
Wenn Sie eine Schuld besitzen, sei es ein Gutschein für eine Gratispizza, eine Unternehmensanleihe oder sogar ein UST, sind Sie ein Gläubiger. Vielleicht haben Sie noch nie darüber nachgedacht, aber der Besitz von "Geld" macht Sie zum Gläubiger des Emittenten.
Als Gläubiger können Sie diese Verbindlichkeit an den Emittenten zurückgeben, wenn Sie sie einlösen. Sie lösen den Gutschein für eine Gratispizza ein. Damit erlischt Ihr Guthaben bzw. Ihr Anspruch auf eine Gratispizza. Damit ist auch die Schuld der Pizzeria getilgt.
Jeder kann Geld schaffen (Hyman Minksy), das Problem ist nur, dass es akzeptiert wird. Geld ist eigentlich nur ein Schuldschein (IOU: I owe you), der auf das Geld des Kontos lautet.
Das Geld wird immer dann "aus dem Nichts" geschaffen, wenn die Regierung Geld ausgibt oder die Bank Kredite vergibt.
Ausserdem ändert sich das Wesen des Geldes nicht wirklich, wenn sich die Aufzeichnungstechnologie ändert.
Monika Stemmer erklärt vor diesem Hintergrund das gegenwärtige (moderne) Geldsystem, wo der Staat das Währungsmonopol hat und unbegrenzt Geld schöpfen kann: Fiat-Geld. Banken hingegen schöpfen ein Geld zweiter Ordnung (Giralgeld).
Alles Geld entsteht in Bilanzen, gemeinsam mit einer gleich hohen Schuld. Einlagen sind immer Verbindlichkeiten der Bank; die Bank schuldet dem Einleger.
Im Mittelpunkt des Buches steht der Grundgedanke, dass das Geld schon immer ein "Staatsgeld" ist und war, eine Schöpfung der Behörden, die ein Rechnungsgeld auswählen und Verpflichtungen (z.B. Steuern) auferlegen, um die Währung zu "steuern".
Das Geldsystem besteht aus einer Reihe von Krediten und Debitoren: Ich schulde dir und du schuldest mir etwas.
Eine der wichtigen Aussagen, die die Autorin mit Nachdruck hervorhebt, ist, dass es unmöglich ist, eine Trennung zwischen Geld- und Fiskalpolitik aufrechtzuerhalten, Geld ist immer an fiskalpolitischen Maßnahmen (Ausgaben und Steuern) beteiligt.
Geld wird von den Banken generiert, und zwar immer dann, wenn sie (per Knopfdruck) Kredite an Haushalte und Unternehmen vergeben. Das ist Giralgeld (auch Bankeinlagen genannt, früher Buchgeld). Und es erlischt, wenn Kredit zurückgezahlt werden.
Stemmer zeigt anhand von praktischen Beispielen (in Form von Mythos-Entlarvungen) einleuchtend auf, wie die Realität die Schule der neoklassischen Theorie stets aufs Neue widerlegt.
Wer gestützt auf die neoklassische Theorie davon ausgeht, dass die Banken als Finanzintermediäre nur vorhandenes Geld weiter verleihen, argumentiert, dass erst gespart werden müsse, damit investiert werden kann.
Doch ein näherer Blick auf die Bilanzen (doppelte Buchhaltung) der Banken zeigt, dass Banken in Wahrheit das Geld schöpfen und damit die Investitionen bezahlt werden, Das heisst, nicht Ersparnisse führen zu Investitionen, sondern Investitionen ermöglichen Ersparnisse.
Es ist das Kreditgeld der Banken, welches die wirtschaftliche Dynamik fördert. Vor allem auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene führt das allgemeine Sparen nicht mehr zu Wohlstand, sondern zu Arbeitslosigkeit und Armut. Gerade weil alle sparen, werden alle gemeinsam ärmer («Spar-Paradoxon»).
Die Autorin reüssiert, komplexe Zusammenhänge in einfachen, allgemein verständlich Sätzen zu erklären, warum z.B. die Nöte, die Italien seit zwei Jahrzehnten plagen, nahezu in Gänze auf den Euro zurückzuführen sind.
Gestützt auf aktuelle Ereignisse (Corona-Krise, Angebotsschock, Gewinn-Preis-Spirale, Exportüberschüsse, Staatsschulden, Target-Salden etc.) des wirtschaftlichen Geschehens beschreibt sie, wie der Euro zum Gegenteil des Friedensprojekts, welches die EU eigentlich sein möchte, geworden ist.
Eine gelungene Kombination aus aktuellen Themen und makroökonomischer Analyse, begleitet von einem zeitgemäß, gut recherchierten Glossar über das moderne Geldwesen.
Der klare Schreibstil, das rhetorische Gespür, die kritischen Einsichten machen das Buch zu einer unentbehrlichen Lektüre für den Laien; ein Vergnügen zu lesen.