Patrick Kaczmarczyk: Raus aus dem Ego Kapitalismus – Für eine Wirtschaft im Dienst der Menschen, Westend Verlag, Sept 2023.
Patrick Kaczmarczyk bietet dem Leser eine tiefgründige und berechtigte Kritik am neoliberalen Kapitalismus. Es ist eine gelungene Entzauberung des marktliberalen Dogmas der letzten Jahrzehnte.
Obwohl der Neoliberalismus zunächst mit der Förderung des Marktes begonnen hat, wird er zunehmend dazu genutzt, Maßnahmen zu fördern, die die Größe des Staates verringern und Steuersenkungen für die Reichen ermöglichen.
Es ist inzwischen ein offenes Geheimnis, dass die neoliberale Politik sich selbst übertroffen und mit Brexit und Trump eine Form autoritärer Plutokratie geschaffen hat, die eine Bedrohung für die pluralistische Demokratie darstellt.
Denn Neoliberalismus ist eine politische Bewegung oder besser gesagt eine Ideologie, die „Big Government“ hasst, jede Form von Markteingriffen durch den Staat ablehnt, Geschäftsinteressen bevorzugt und sich gegen organisierte Arbeiter stellt.
Die neoliberale Politik wurde in den vergangenen Jahrzehnten von den Geldinteressen der Rechten übernommen und gefördert. In zu vielen Ländern betrachtete die politische Rechte rigorose Sparmaßnahmen («fiscal austerity») als eine Möglichkeit, den Staat zu verkleinern.
Das Narrativ Freiheit bedeutet heute die Freiheit für das Kapital, von dem der Grossteil der Weltbevölkerung nichts hat, wie der Autor zu Recht unterstreicht.
Es gibt keinen Zweifel daran, dass das als TINA («There Is No Alternative») vermarktete Vertrauen auf den Markt im Wesentlichen für multiple Krisen (sozial und ökologisch) verantwortlich ist.
Der Autor, der sich im Buch «Ökonom und gläubiger Christ» nennt, unternimmt den Versuch, eine Reform der Wirtschafts- und Finanzordnung zu präsentieren. Die Eckpfeiler sind internationale Zusammenarbeit und die Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik, wobei die Grundsätze der Soziallehre als ein Kompass dienen sollen.
«Die katholische Soziallehre gibt uns Prinzipien an die Hand, die nicht nur enorm anschlussfähig sind, sondern die auch für die vielfältigen Probleme unserer Zeit ganzheitliche und konkrete Lösungsansätze bieten»
Im Zeitalter der Postmoderne, wo die Zahl der Menschen ohne religiöse Zugehörigkeit zunimmt, und das Konzept „woke“ zu sein, eng mit Bewegungen für soziale Gerechtigkeit verbunden wird, soll die Soziallehre der katholischen Theologie als Gegenmodell zum «Ego-Kapitalismus» dienen?
Der Autor sagt zwar, dass er keine Aufhebung der Trennung von Kirche und Staat befürworte. Die Säkularisierung sei in den Grundfesten unserer Gesellschaft verankert. Vielmehr soll es darum gehen, «uns eine Inspiration einzuholen».
Zur Erinnerung: Bei den Ausgaben und Steuern des öffentlichen Sektors geht es faktisch überwiegend um Politik und erst in zweiter Linie um Wirtschaft. Es mag dahingestellt sein, dass viele Politiker und ein Großteil der Medien über die öffentlichen Finanzen so diskutieren, als ob das Gegenteil der Fall wäre. Doch die Religion in die Politik zu bringen, würde unmittelbar den säkularen Staat tangieren. Ohne Zweifel.
Ein Beispiel für die Säkularisierung ist z.B. die Anerkennung der Evolutionstheorie.
Religion kann im Allgemeinen als ein Glaubenssystem beschrieben werden, das den Glauben an eine höhere Macht oder höhere Mächte, moralische Grundsätze und oft auch Rituale und Praktiken beinhaltet.
Der Begriff "Dogma" bezieht sich i.d.R. auf verbindliche Glaubenssätze oder Doktrinen, die ohne Hinterfragen akzeptiert werden.
Die Chancen, dass eine Religion als angemessene Inspiration dient, hängen davon ab, wie ihre Grundsätze von ihren Anhängern verstanden und praktiziert werden, sowie vom kulturellen Gesamtkontext und von historischen Faktoren.
Man darf nicht vergessen, dass die Religion nur einer von vielen Faktoren ist, die eine Gesellschaft prägen, und dass eine Vielzahl von Einflüssen wie Politik, Bildung und Wirtschaft ebenfalls eine entscheidende Rolle spielen.
Der Autor schreibt, dass die Aufgabe der Politik sei, die Wirtschaft im Sinne der gesamten Menschheit zu gestalten. Richtig. Deshalb steht ja der Mensch im Mittelpunkt einer jeden rechtsstaatlichen Verfassung.
Menschen entwickeln Sensibilität und geben sich heute gern als bewusst und informiert über Themen wie Rassismus, Sexismus, LGBTQ+-Rechte, Umweltbelange und andere systemische Ungerechtigkeiten, was eine Errungenschaft der fortdauernden Zivilisation ist, nicht der Religion.
Der Autor strebt zwar einen konstruktiven Austausch auf Augenhöhe an, um die Perspektive der armen Länder und der aufstrebenden Schwellenländer zu verstehen. Und er meint es allem Anschein nach gut. Aber wie sensibel sind zum Beispiel die Chinesen, Japaner und Inder gegenüber dem «Reichtum der biblischen Botschaft»?
Warum sollen sie christliche Soziallehre als Gegenprogramm zum «Ego Kapitalismus» akzeptieren, auch wenn die globalen Unzulänglichkeiten in Sachen Wirtschaft und Ökologie mehr oder weniger alle Nationen gleich stark treffen?
Bemerkenswert ist, dass Fabio De Masi sich im Vorwort redlich darum bemüht, dem Leser nahezulegen, den Verweis auf die Kirche im Buch nicht zu überbewerten. Wichtig sei die originelle Kapitalismuskritik. Na, Ja?
Der Autor will ein Dogma (Neoliberalismus) durch ein anderes Dogma (Kirche) ersetzen. Das ist in der Tat so, wie einem spekulativen Ansatz Vorrang vor wissenschaftlicher Stringenz zu geben.