Die giftige Besessenheit von der Schuldenbremse («debt brake») scheint sich von Deutschland auf die Schweiz auszubreiten.
Wie Yves Wegelin in Republik Magazin ausführlich berichtet, hat das Schweizer Finanzdepartement im Frühling eine «Expertengruppe» zur «Bereinigung des Bundeshaushaltes» beauftragt.
Finanzministerin Karin Keller-Sutter (FDP) will herausfinden, wo der Staat sparen soll. Lobbyisten, angeführt von einer privaten Denkfabrik warnen vor angeblich ausufernden Staatsausgaben in der Schweiz.
Die Ausgaben des Bundes mögen zwar seit 1990 stark gestiegen sein. Aber das gilt nur in absoluten Zahlen. Denn auch die Schweizer Wirtschaft (gemessen am BIP) ist seither stark gewachsen.
Doch Austerität-Anbeter aus der rechten Ecke des politischen Spektrums wollen Kürzungen bei den Staatsausgaben erzwingen, koste es was es wolle. Gespart werden sollen 2,5 Milliarden Schweizer Franken, da es sich dabei um die Höhe des Defizits für die nächsten Jahre handele.
Es gibt aber keinen (makroökonomisch) vernünftigen Grund zum Aktionismus.
Die Rendite für 10-jährige Schweizer Staatsanleihen beläuft sich heute auf 0,45%, während die Inflation weit unter dem Zielwert der SNB von 2% liegt.
Der Schweizer Staat kann also zu einem weniger als einem halben Prozentpunkt auf 10 Jahre Kredit auf dem offenen Markt besorgen. So günstig!
Die Schweiz hat zudem einen enormen Leistungsbilanz-Überschuss, in Höhe von 8,2% des BIP (per Apr 2024).
Wozu soll ein Land mit einem so hohen Überschuss im Aussenhandel sparen?
Leistungsbilanz-Überschuss bedeutet nämlich nach dem Lehrbuch, dass das betreffende Land unter seinen Verhältnissen lebt. Denn das Land spart mehr als es ausgibt; Haushalte, Unternehmen und der Staat sparen gemeinsam einen erheblichen Teil ihres Einkommens.
Soll also noch mehr gespart werden? Und warum?
Tatsache ist, dass hohe Ersparnisse und niedrige Investitionen zu einer Unterauslastung der inländischen Ressourcen, einschließlich Arbeit und Kapital, führen können.
Ferner können dauerhafte Überschüsse einen Aufwertungsdruck auf die Landeswährung hervorrufen: eine stärkere Währung kann Exporte verteuern und Importe verbilligen, was den Überschuss im Laufe der Zeit potenziell verringern könnte.
Es ist vor diesem Hintergrund kein Wunder, zu beobachten, wie die SNB am Devisenmarkt regelmässig interveniert, um eine Überbewertung von Franken zu unterbinden.
Im Übrigen können anhaltende Überschüsse einen deflationären Druck auslösen, der sich negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirkt.
Die deutsche Angst vor Schulden ist irrsinnig und verlogen, schreibt Martin Wolf vor diesem Hintergrund in seiner Kolumne bei FT aus London.
Deutschland sollte viel stärker investieren und sich dafür direkt bei seinen Bürgern verschulden.
Prof. Michael Pettis hat es in seinem unbedingt lesenswerten Buch («Trade Wars are Class Wars») längst in Einzelheiten überzeugend dargelegt:
Der globale Mangel an Ausgaben kommt von den Überschussländern. Obwohl deutsche Politiker oft darauf bestehen, dass Deutschlands Überschüsse der Lohn für überlegene Produktionstechniken sind, ist dies völliger Unsinn.
Die Belohnung für eine überlegene Produktivität sind höhere Importe durch bessere «Terms of Trade». Anhaltende Überschüsse sind fast immer die Folge einer sehr unausgewogenen Einkommensverteilung zugunsten von Unternehmen und Reichen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein großer Leistungsbilanz-Überschuss häufig bedeutet, dass ein Land unter seinen Verhältnissen lebt, indem es mehr spart als es ausgibt und überschüssige Mittel im Ausland investiert.
Dies kann zwar im Hinblick auf die finanzielle Stabilität und die Anhäufung von Auslandsvermögen von Vorteil sein, kann aber auch auf eine Unterauslastung des inländischen Wirtschaftspotenzials und eine übermäßige Abhängigkeit von ausländischen Märkten hinweisen. Das bedeutet, dass sich das Ausland verschuldet: Der Euroraum ist die größte Quelle für globale Ungleichgewichte.