Buchbesprechung:
Jakob Feinig: Moral Economies of Money – Politics and the Monetary Constitution of Society, 2022, Stanford University Press, California.
In einer modernen Wirtschaft besteht mehr als 90% der Geldmenge (money supply) aus inside money. Das heisst, dass das Geld (broad money) vom Bankensystem geschaffen wird.
Wenn eine Bank einen Kredit vergibt, zum Beispiel an jemanden, der eine Hypothek für den Kauf eines Hauses aufnimmt, tut sie dies normalerweise nicht, indem sie ihm Banknoten im Wert von Tausenden von Euros gibt. Stattdessen schreibt sie dem Bankkonto eine Bankeinlage in Höhe der Hypothek gut.
Also jedes Mal, wenn eine Bank einen Kredit vergibt, tätigt sie gleichzeitig eine entsprechende Einzahlung auf das Konto des Kreditnehmers und schafft damit neues Geld.
Mit anderen Worten schaffen Geschäftsbanken Geld in Form von Bankeinlagen, indem sie neue Kredite vergeben.
Es würde die meisten Menschen in den heutigen Vereinigten Staaten überraschen zu hören, dass in der Vergangenheit politische Gruppen vom Gesetzgeber die Schaffung von Geld forderten und sagten, wie diese neue Währung ihrer Meinung nach die Bevölkerung erreichen sollte.
Jakob Feinig beschreibt in seinem neuen Buch, wie Hunderte von Arbeitssuchenden während der Depression in den 1890er Jahren nach Washington marschierten und verlangten, dass der Kongress Geld schuf und es an die Regierungen der Bundesstaaten und Kommunen weitergab.
Sie verbanden die monetäre Macht des Staates mit der Notlage der Arbeitssuchenden und sahen die Arbeitslosigkeit als ein Versagen des Geldsystems, die Arbeitskraft der Menschen zu mobilisieren.
Die Währungen des britischen kolonialen Nordamerikas, die den Ausgangspunkt dieser tiefgründigen Analyse bilden, entstanden in der Zeit, in der das mittelalterliche Geld (geprägte Legierungen aus Silber und Gold) durch «Bankgeld» ersetzt wurde, eine besondere Form der Geldschöpfung mit demokratischem Potenzial, so der Autor.
Die Lektionen aus der Zeit zeigen die Fähigkeit des Staates, durch die Ausgabe von Geld Ressourcen zu mobilisieren, sowie die Formbarkeit der Geldgestaltung (Banknoten, «greenbacks», emittiert durch das Schatzamt, «blackbacks», emittiert durch die Banken, Anleihen, IOUs usw.) und ihre Verbindung zur Staatsverschuldung.
Die Praxis, die Geldschöpfung an Banken zu delegieren, ist etwas mehr als drei Jahrhunderte alt und stellt einen weltverändernden Bruch mit mittelalterlichen Mustern dar.
Wenn Gesellschaften einen Geldschöpfungsmechanismus entwickeln, konstituieren sie sich selbst, wie Feinig weiter schildert.
Wenn eine Regierung Geld gegen Arbeitskraft ausgibt, wenn sie Menschen einstellt, stabilisiert sie das Leben der Arbeitnehmer und stärkt ihre Position gegenüber privaten Arbeitgebern.
Wenn eine Regierung Geld gegen landwirtschaftliche Grundnahrungsmittel ausgibt, stärkt sie die Landwirte, die ihre Produktion kontrollieren, gegenüber denjenigen, die sie vermarkten.
Vor diesem Hintergrund bezeichnet Feinig Wissen und Praktiken, die es den Menschen ermöglichten, die Geldschöpfung zu gestalten, als "moralische Ökonomien des Geldes" und Prozesse, die solche Muster unterbinden, als "monetäre Stummschaltung". Auf die zweite Kategorie entfallen heute die sog. Crypto-Währungen wie z.B. Bitcoin.
Feinig zeigt anhand des Verhältnisses zwischen Geldnutzern (money users) und geldausgebenden Behörden (money issuer) der britischen Kolonialzeit in Nordamerika auf, wie die institutionelle Einheit von Währungsschöpfung und öffentlichen Ausgaben damals der heutigen Trennung von Finanz- und Geldpolitik widersprach.
Es geht m.a.W. um die Untrennbarkeit von Politik (fiscal policy) und Wirtschaft (monetary policy), was durch Geld verkörpert wird.
In diesem Kontext bekräftigt der Autor das Geld als einen formbaren Steuerungsmechanismus, den der Geldemittent einsetzen kann, um Menschen und Ressourcen zu mobilisieren. Das heisst, dass ein Mangel an Geld niemals ein Hindernis für die Beschäftigung von Menschen ist.
Wenn Geld ein Geschöpf der Politik ist, dann ist es auch der Rest des Wirtschaftslebens. Geld ist ein öffentliches Gut. Und es ist falsch, zu behaupten, dass "kein Geld da ist", z.B. für Umweltschutz, Kinderbetreuung, Bildung usw.
Die starre Festhaltung an der Vorstellung, Land, Arbeit und Geld als Waren zu betrachten, die nichts anderes als einen sich selbst regulierenden Markt benötigen, birgt die Gefahr in sich, im gesellschaftlichen Zerfall und in ökologischer Zerstörung zu enden.
Dies ist vor einem breiteren historischen Hintergrund ein anspruchsvolles und fundiert informatives Buch über die Geldschöpfungspraktiken seit der Kolonialzeit bis zur gegenwärtig wachsenden Bedeutung der Modern Monetary Theory (MMT).