Buchbesprechung
Mariana Mazzucato: Mission Economy – A Moonshot Guide to Changing Capitalism, Allen Lane, Penguin Books, 2021
Das ist kein VWL-, sondern ein BWL-Buch. Es geht nicht um makro-, sondern um mikro-Ökonomie. Das Anliegen ist eine Art Projektmanagement. Das heisst, der Prozess der Leitung der Arbeit eines Teams. Und das Team besteht aus dem Privat- und dem öffentlichen Sektor.
Mariana Mazzucato lädt in ihrem neuen Buch die Leserschaft ein, über den Kapitalismus durch ein Überdenken des Staates neu nachzudenken. Denn der Kapitalismus ist in der Krise. Zielsetzung ist, dass der Staat sich als lernende Organisationen versteht.
Die Professorin in «Economics of Innovation und Public Value» an dem University College London argumentiert, dass Märkte nicht das Ergebnis individueller Entscheidungen sind, sondern davon abhängen, wie jeder wertschöpfende Akteur (einschließlich der Regierung selbst) regiert wird.
In diesem Sinne sind Märkte in Regeln, Normen und Verträge eingebettet, die das Verhalten von Organisationen, Interaktionen und institutionelle Strukturen beeinflussen.
Die Regierung kann sich daher nicht darauf beschränken, Märkte reaktiv zu fixieren, sondern muss sie ausdrücklich mit gestalten, um die von der Gesellschaft benötigten Ergebnisse zu erzielen. Er kann und sollte die Richtung der Wirtschaft lenken, als "Investor der ersten Wahl" dienen und Risiken eingehen.
Die Staaten sollten v.a. in den Ausbau ihrer Kapazitäten in kritischen Bereichen wie Produktionskapazitäten, Beschaffungswesen, öffentlich-private Kooperationen, die wirklich dem öffentlichen Interesse dienen, sowie in digitales und datenbezogenes Fachwissen investieren.
Als Vorbild dient der Autorin die Rede von John F. Kennedy, dem US-Präsidenten im September 1962, die als Initialzündung zum Apollo-Programm gilt.
In diesem Zusammenhang geht es beim "Moonshot"-Denken darum, ehrgeizige, aber auch inspirierende Ziele zu setzen, die in der Lage sind, Innovationen über mehrere Sektoren und Akteure der Wirtschaft hinweg zu katalysieren.
Für die dysfunktionale Form des Kapitalismus gibt es nämlich mindestens vier Hauptursachen: 1) die Kurzsichtigkeit des Finanzsektors, 2) die Finanzialisierung der Wirtschaft, 3) der Klimanotstand und 4) langsame oder abwesende Staaten.
Mazzucato legt grossen Wert darauf, bei jeder Gelegenheit hervorzuheben, dass «die Mondlandung öffentliche und private Akteure zusammengebracht hat, um eines der schwierigsten Probleme zu lösen, das sich die Menschheit je gestellt hatte».
Moonshots dürfen ihrer Ansicht nach nicht als isolierte Großprojekte verstanden werden, sondern als kühne gesellschaftliche Ziele, die durch eine groß angelegte Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Stellen erreicht werden können.
An Herausforderungen, die einen missionsorientierten Ansatz erfordern, mangelt es heute gewiss nicht.
Die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) umreißen 17 der größten Probleme, die wir haben, von der Reinigung unserer Ozeane über die Verringerung von Armut und Hunger bis hin zur Verwirklichung einer größeren Gleichstellung der Geschlechter, Probleme, die nicht nur technologischer, sondern auch zutiefst politischer Natur sind und eine Änderung von Vorschriften und Verhaltensweisen erfordern.
In dieser Hinsicht sind sie eine noch größere Herausforderung als die Mondlandung.
Aber es gab damals auch Kritik am Mondlandung-Projekt, welches die US-Regierung immerhin 28 Mrd. USD (283 Mrd. in 2020 USD) gekostet hat.
Die Frage lautete: Wie könnten wir den Einsatz von Ressourcen für eine Reise zum Mars (die nächste Mission nach der Mondlandung) rechtfertigen, wenn es so viel Leid auf der Erde gibt: kranke Kinder, Hunger und Ungleichheit?
Der wissenschaftliche Direktor der NASA, Ernst Stuhlinger forderte die Kritiker auf, sich zu vergegenwärtigen, dass so viele entscheidende Fortschritte bei der Bekämpfung der Armut (Fortschritte in den Bereichen Ernährung, Hygiene, Energie und Medizin) auf ähnliche wissenschaftliche Studien zurückzuführen sind, deren Nutzen angesichts anderer dringender Aufgaben zunächst zu weit entfernt erscheinen mag.
Wissenschaftlicher Fortschritt entsteht fast immer durch den Versuch, neue Erkenntnisse zur Lösung von Problemen anzuwenden, bekräftigte er.
Ein Merkmal der Innovation ist nämlich, dass bei der Suche nach einer Sache eine andere Sache entdeckt wird.
Die Autorin verwendet die Worte «experimentieren» und «Möglichkeiten» (capabilities) bewusst auffallend viel, mit der Betonung, die Bürger als Dreh- und Angelpunkt des wirtschaftlichen Prozesses zu verstehen, was ja von einer «aufgabenorientierten Politik» genau vorausgesetzt wird.
Das heisst, den Human-Faktor als Grundpfeiler eines sehr breit angelegten Stakeholder-Ansatzes zu verfestigen, um gesellschaftspolitische Aufgaben mit Markt und Mensch optimal anzugehen.
Ein anspruchsvolles Werk einer ehrgeizigen Wissenschaftlerin, die das Leben in den Mittelpunkt der Wirtschaft stellen will und nicht die Wirtschaft in den Mittelpunkt des Lebens; eindrucksvoll.