Im vorangegangenen Konjunkturzyklus lag das jährliche Lohnwachstum bei über 3%, ohne eine Inflation auszulösen.
Die US-Notenbank hat sich daher mit einer Anhebung des Leitzinses zurückgehalten, notiert Morgan Stanley in einer am Montag veröffentlichten Analyse dazu.
Der derzeitige politische Rahmen der Fed zielt auf maximale Beschäftigung und eine flexible durchschnittliche Inflation (AIT: average inflation inflation targeting) ab.
Und das bedeutet eine deutliche Abkehr von der historischen Abhängigkeit von der Verknüpfung von Löhnen, Inflation und Arbeitslosigkeit, wie die Ökonomen der amerikanischen Investmentbank weiter festhalten.
Das ist enorm wichtig.
Warum?
Die Fed mag damit hinter der Kurve liegen («behind the curve»).
Die Situation ist aber angesichts von AIT von grosser Bedeutung.
Das heisst, dass die Fed bereitwillig ist, ein Überschiessen der Inflation als «Instrument» der unkonventionellen Geldpolitik auf der Nullzins-Grenze («zero lower bound») vorübergehend in Kauf zu nehmen, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage anzukurbeln, ohne die Verankerung von langfristigen Inflationserwartungen der Gefahr auszusetzen.
Nun wieder zurück zum Wesentlichen der Thematik:
Die Mehrheit der Anhänger der neoklassischen Volkswirtschaftslehre geht davon aus, dass es eine natürliche Arbeitslosenquote («natural rate of unemployment») gibt.
Diese liege in der Nähe von 6%, und unterhalb davon würde die Inflation mit Sicherheit steigen.
Inzwischen liegt die Arbeitslosigkeit im Grunde genommen kontinuierlich darunter, ohne dass die Inflation gestiegen wäre.
Angesichts dieser peinlichen Tatsache verteidigen nur eine Handvoll Ökonomen weiterhin die Idee der natürlichen Rate, wie James K. Galbraith vor 20 Jahren in einem lesenswerten Artikel («How the Economists Got it Wrong») bei «The American Prospect» unterstrichen hat.
Prof. Galbraith schreibt weiter: «Doch beeinflusst die Bewegung der natürlichen Rate immer noch die Politik. Einige ihrer Überlebenden stimmen im Offenmarktausschuss (FOMC) der Federal Reserve (Fed) mit».
Diejenigen, die heute Zinserhöhungen durch die Notenbanken (sei es die Fed und/oder die EZB) fordern, stützen sich darauf, dass eine niedrige Arbeitslosigkeit sonst bald zu einer steigenden Inflation führen werde.
Doch für diese Behauptung gibt es keine Beweise.
Abgesehen von dem Schaden, den höhere Zinssätze anrichten würden, ist es nicht schwer, die Rufe nach höheren Zinsen im gegenwärtigen Umfeld der Wirtschaft, bei allem Respekt als grotesk zu bezeichnen.
Eine wichtige Frage ist, wie tief die Arbeitslosigkeit sinken kann.
In den 12 Jahren von 1948 bis 1959 war die amerikanische Arbeitslosenquote überraschend niedrig, ohne dass die Löhne explodierten, und lag im Durchschnitt bei 1,55 %. Hier die Zahlen für das Vereinigte Königreich: 1948-50: 1,5%, 1951: 1,2%, 1952: 2%, 1953: 1,6% usw.
Wenn die Arbeitslosigkeit zu niedrig wird, müssten die Löhne steigen, da die einzige Möglichkeit, Arbeitskräfte zu bekommen, darin bestünde, sie von anderen Unternehmen abzuwerben, da es keinen verfügbaren Pool an Arbeitskräften gibt, auf den man zurückgreifen könnte.
David G. Blanchflower verfasst in seinem lesenswerten Buch «Not Working – Where Have All the Good Jobs Gone?»), dass er keinen Grund sieht, warum die Arbeitslosigkeit nicht noch einmal so tief sinken könnte und die Arbeitslosenquote weltweit eine Überraschung erleben könnte.
Der Siegeszug des Marktfundamentalismus seit den 1980er Jahren hatte verheerende Auswirkungen auf Arbeitsplätze und Einkommen. Arbeitslosigkeit ist aber nicht notwendig, um Inflation zu bekämpfen.
Es ist kein Trost, dass der Fed-Vorsitzende Powell kürzlich unter Eid zugegeben hat, dass die Beziehung zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation zusammengebrochen ist.