Heiner Flassbeck: Grundlagen einer relevanten Ökonomik, Westend Verlag, September 2024, Frankfurt am Main.
Mit „Grundlagen einer relevanten Ökonomik“ hat Heiner Flassbeck, der geschätzte Wirtschaftswissenschaftler nicht weniger als eine wissenschaftliche Meisterleistung abgeliefert und damit neue Maßstäbe in der Wirtschaftswissenschaft gesetzt.
Dieses Werk ist ein Zeugnis seines profunden Intellekts und seiner jahrzehntelangen Erfahrung, die er zu einer maßgeblichen Untersuchung der wirtschaftlichen Relevanz in einer sich rasch verändernden globalen Landschaft zusammengefügt hat.
Das Buch ist sowohl klar als auch tiefgründig geschrieben und dient als Meisterklasse in der Art, theoretische Strenge mit praktischer Anwendbarkeit zu verbinden, was es nicht nur akademisch bedeutsam, sondern auch für politische Entscheidungsträger und Praktiker gleichermaßen relevant macht.
Sein akademischer Weg, der mit dem Studium der Volkswirtschaftslehre in Saarbrücken begann und 1987 mit der Promotion an der Freien Universität Berlin endete, spiegelt sein unermüdliches Engagement für Spitzenleistungen wider.
Dieses intellektuelle Fundament wurde durch seine herausragende Karriere weiter gestärkt, unter anderem durch seine Ernennung zum Staatssekretär im deutschen Bundesfinanzministerium im Jahr 1998, eine Position, die es ihm ermöglichte, die nationale Finanzpolitik auf höchster Ebene zu gestalten.
Von 2003 bis 2012 spielte er als Direktor der Abteilung für Globalisierungs- und Entwicklungsstrategien bei der UNCTAD in Genf eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung der Herausforderungen der globalen wirtschaftlichen Integration und Entwicklung. Diese Erfahrung fließt zweifelsohne in die globale Perspektive und die differenzierte Analyse ein, die sein neuestes Werk prägen.
„Grundlagen einer relevanten Ökonomik“ ist nicht nur ein weiterer Beitrag zum ökonomischen Denken, sondern der Höhepunkt einer Karriere, die sich der Förderung unseres Verständnisses der Weltwirtschaft verschrieben hat. Es wird zweifellos künftige Generationen von Wirtschaftswissenschaftlern inspirieren, und seine Wirkung wird in akademischen Kreisen und darüber hinaus noch jahrelang zu spüren sein.
Ein kurzer Einblick in die herausragenden Abschnitte:
Sparen und Investieren
Sparen ist in der Tat immer gleich Investieren, aber in einem vollkommen belanglosen Sinne. Die Neoklassik hat zwar versucht, Wachstum in das System einzuführen. Das Ergebnis hat aber mit wirtschaftlicher Entwicklung nichts zu tun. Denn der Versuch eines privaten Haushalts, mehr zu sparen, also weniger von seinem erwarteten Einkommen auszugeben, behindert das Investieren ungemein.
Schumpeter ist wichtiger als Keynes
Unternehmen konkurrieren bei gegebenen Löhnen um die höchste Produktivität, also um absolute Vorteile, was zu einem permanenten Entwicklungsprozess führt. Er wird nicht aus Ersparnissen finanziert, sondern mit Geld, das aus dem Nichts geschöpft wird. Doch diese Theorie ist in ihrer Bedeutung nie vollständig verstanden und für die wirtschaftspolitische Praxis nutzbar gemacht worden.
Inflationserwartungen: Die neue Geldmenge
Es ist ein offenes Geheimnis, dass das allgemeine Marktgleichgewicht keinerlei Lösung für die Geldwertstabilität bietet. Da der Neoklassik eine Inflationstheorie fehlt, verlagert sie das Thema in den Bereich der exogenen Annahmen. Doch seit der allgemeinen Einsicht (Stichworte: GFC 2008, secular stagnation, global pandemic usw.) der führenden Notenbanken, dass die «notion of monetary neutrality» als Fiktion inzwischen unvertretbar ist, verfällt die «Geldmengenlösung» als obsolet.
Die geldpolitischen Falken aber schieben stattdessen «Inflationserwartungen» und «Verankerung» als Ersatz voran. Doch es geht bei der Frage, ob und wie man Erwartungen stabilisiert, viel mehr als nur um Inflation: eine gute Wirtschaftspolitik, die die Einkommenserwartungen der Bevölkerung und das Preisniveau stabilisiert.
Der neoklassische Arbeitsmarkt ist eine Fiktion
Es gibt gesamtwirtschaftlich keinen (funktionierenden) Arbeitsmarkt, weil es keinen Mechanismus gibt, wo man über sinkende Löhne die Beschäftigung erhöhen kann. Das ist der ursprüngliche Glaube (die Vorstellung, wo sich etwas ausgleicht, was nicht der Fall ist), der fundamental falsch ist. Es geht eher um Arbeitsbeziehungen, die vernünftig geregelt werden müssen.
Die Tatsache, dass die Löhne die Preise bestimmen, schliesst eine neoklassische Funktionsweise des Arbeitsmarktes aus, bei dem die Reallöhne die Beschäftigung determinieren. Da Lohnsenkungen einen negativen Effekt auf die Güternachfrage haben und die Arbeitsnachfrage der Unternehmen bei sinkender Güternachfrage sinkt, sind Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt nicht voneinander unabhängig. Lohnsenkung vernichtet Arbeitsplätze. Basta!
Entlohnung nach der individuellen Grenzproduktivität
Die neoklassische Theorie erweckt den Eindruck, als ob es so etwas wie eine individuelle Grenzproduktivität gäbe und jede darüber hinaus gehende Entlohnung einen Verlust für die Unternehmen bedeuten würde. Doch das ist eine unrealistische Annahme, da der Arbeitnehmer keine feststehende, sondern viele verschiedene Produktivitätspotentiale hat. Die Löhne stehen im Durchschnitt der Volkswirtschaft in einer engen Beziehung zur Produktivität. Die Idee einer individuellen Grenzproduktivität ist daher unhaltbar, weil das, was letztlich Produktivität bedeutet, von den Löhnen selbst abhängt.
«Die Grundlagen einer relevanten Ökonomik» ist eine fesselnde Lektüre für jeden, der sich für die moderne Wirtschaft interessiert.
Eines der herausragenden Merkmale dieses Buches sind die vielfältigen und aufschlussreichen Grafiken, die dazu beitragen, komplexe Theorien auf visuell ansprechende Weise zu erklären.
Diese Grafiken («A Chart Nirvana») stellen einen enormen Mehrwert dar, da sie schwierige Konzepte zugänglich machen und das Lernerlebnis insgesamt verbessern. Das Buch schafft ein Gleichgewicht zwischen Tiefe und Klarheit und bietet den Lesern sowohl ein umfassendes Verständnis der wirtschaftlichen Prinzipien als auch eine angenehme Lektüre.
Ich empfehle es jedem, der sein Wissen über Wirtschaft mit frischen, zum Nachdenken anregenden Perspektiven vertiefen möchte.