EZB zwischen Deflation und Inflation
There is no linear relationship between quantities of money and prices
Die EZB hat sich kürzlich ein neues Inflationsziel gesetzt. Das bedeutet eine Änderung ihrer geldpolitischen Strategie. Notenbank Chefin Christine Lagarde strebt künftig eine jährliche Teuerungsrate von 2% für den Euroraum an.
Philip Lane, Mitglied des Direktoriums der EZB hat am vergangenen Donnerstag in einem Vortrag erläutert, was die neue geldpolitische Strategie ist und welche Implikationen sie für die Zinssteuerung hat.
Die neue geldpolitische Strategie enthält zwei Neuerungen, die eine Aktualisierung der Zinsvorgaben rechtfertigten:
erstens die Neudefinition des Preisstabilitätsziels als symmetrisches mittelfristiges Inflationsziel von 2 % und
zweitens die bedingte Verpflichtung, die Auswirkungen der effektiven Untergrenze (effective lower bound) zu berücksichtigen, wenn die EZB die Politik in einem Umfeld strukturell niedriger Nominalzinsen durchführt.
Lane hat weiter unterstrichen, dass das Inflationsziel von zwei Prozent eine ausreichende Sicherheitsmarge bieten soll, um die Wirksamkeit der Geldpolitik bei der Reaktion auf disinflationäre Schocks zu schützen.
Die Symmetrie des Inflationsziels bedeutet, dass der EZB-Rat negative und positive Abweichungen der Inflation von diesem Ziel gleichermaßen als unerwünscht ansieht.
M.a.W. bekämpft die EZB derzeit Disinflation, nicht Inflation, weil das Inflationsziel von den EUR-Währungshütern seit einer langen Zeit unterboten wird. Der hauptsächliche Grund ist der selbstauferlegte Sparkurs (fiscal austerity) im Euroraum durch Berlin und Brüssel.
Die GFC (2008) ist der Beweis dafür, dass Deflation widerstandsfähiger ist als Inflation gegenüber einer korrigierenden Geldpolitik. Vor diesem Hintergrund ist naheliegend zu beobachten, wie die modernen Zentralbanken, das Inflationsziel vorübergehend anheben, um Preisstabilität zu gewährleisten.
Zur Erinnerung: Die Zentralbanken streben keine Null-Inflation an, weil sie befürchten, dass dies Erwartungen über sinkende Preise wecken und eine Deflation auslösen könnte.
Es gibt viele ursprüngliche Ursachen für Depressionen und Deflation, aber sie folgen offenkundig der häufig wiederkehrenden Schuldenkrise im Kapitalismus. Siehe Hyman Minskys «Hypothese der finanziellen Instabilität».
Dass jetzt eine Fiskalpolitik à la Keynes zum Einsatz kommt, ist daher folgerichtig, da Investitionen im privaten Sektor fehlen, die notwendig sind, , um Vollbeschäftigung zu fördern und Konsumausgaben zu stützen.
Die Regierungen werden also auf den Plan gerufen, die Verantwortung dafür zu übernehmen, das zu tun, was die unwilligen Unternehmen (netto-Sparer) nicht tun, nämlich Geld zu schaffen und es auszugeben.
Die Mainstream-Ökonomie befürchtet jedoch, dass genau dies letztendlich zu einer Inflation führen würde, wenn das Geldangebot die Kapazität der Realwirtschaft zur Produktion von Konsumgütern übersteigt.
Doch eine (zu) geringe Inflation ist ein Anzeichen dafür, dass die Wirtschaft nicht mit voller Kapazität arbeitet.
Wie die Mehrzahl der Marktbeobachter inzwischen feststellen kann, kann die QE-Politik dabei nicht viel Abhilfe schaffen.
Das bloße Pumpen von Geld in die Wirtschaft wird in der Volkswirtschaftslehre mit dem "an einer Schnur Schieben/Drücken" (pushing on a string) verglichen, was nicht unbedingt den Verbrauch und die Produktion anregt.
Daher freundet sich auch die EZB, wie viel früher die Fed, mit der keynesianischen Befürwortung der Finanzpolitik an.
Die moderne Geldpolitik versucht m.a.W., eine niedrige und stetige Inflationsrate von 2 % zu erreichen, um niedrige und fallende Preise und ein Abgleiten in die Deflation zu vermeiden.
Daher sind die Warnungen vor einer Überhitzung der Wirtschaft in diesem Umfeld der Märkte vollkommen fehlgeleitet.
Das Beschäftigungspotenzial in den USA (und sicherlich auch im Euroraum) ist viel höher als in den letzten Jahren. Es gibt eine große latente Erwerbsbevölkerung. Dies bedeutet, dass der Arbeitsmarkt viel lockerer (labor market slack, ***) ist, als herkömmliche Messungen der Arbeitslosigkeit vermuten lassen, wie Mike Conczal in einer aktuellen Studie von Roosevelt Institute bekräftigt.
(*) “Fear of Unemployment”:
Diese qualitativen Umfragedaten über die Erwartungen der Bürger in Bezug auf die Arbeitslosigkeit, die Wahrnehmung der Wirtschaftslage und die finanziellen Verhältnisse ihrer Haushalte korrelieren ziemlich stark miteinander und stimmen in der Regel auch mit den Einschätzungen der Arbeitgeber über die Beschäftigungsaussichten ihrer Arbeitnehmer in den kommenden Monaten (im verarbeitenden Gewerbe, im Baugewerbe, im Dienstleistungssektor und im Einzelhandel) überein.
(**) Arbeitslosigkeit und Verbraucherstimmung
Langfristig sind es i.d.R. nicht die Schocks, die die Stimmung der Verbraucher am stärksten beeinflussen, sondern vier grundlegende Faktoren - Arbeitslosigkeit, Immobilienpreise, Aktienkurse und Inflation. Von diesen Faktoren ist die Arbeitslosigkeit der einflussreichste: sie erklärt 55 % der Schwankungen der Verbraucherstimmung in den letzten 25 Jahren.
(***) Flaute auf dem Arbeitsmarkt (“slack in the labor market”):
Unter einem «slack» auf dem Arbeitsmarkt versteht man eine Arbeitslosenquote, die über ihrem längerfristigen Normalwert liegt.
Der «slack» auf dem Arbeitsmarkt entspricht der Differenz in Prozentpunkten zwischen der aktuellen Beschäftigungsquote und ihrem normalen Niveau.