Euro-Fragmentierung und "Chuck Norris"-Effekt
Euro Area and «What-ever-it-takes”-Moment Part II
Das Wort «Fragmentierung» ist weiter in aller Munde. Die Spreads, d.h. die Rendite-Abstände zwischen den German Bunds und denen anderer Länder, v.a. in Südeuropa sind auseinander gezogen.
Der Auslöser war die jüngste Ankündigung der EZB, demnächst die Zinsen zu erhöhen (Juli und September). Das bedeutet in erster Linie Verteuerung der Kreditkosten im Euro-Raum.
Der abrupte Anstieg der Renditen hat die EZB postwendend auf den Plan gerufen. Nach einer Dringlichkeitssitzung hat die EZB ein neues Anti-Fragmentierungsinstrument in Aussicht gestellt.
Es ist vor diesem Hintergrund wichtig, sich vorerst die Entwicklung der Rendite beispielsweise italienischer Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit zu vergegenwärtigen.
Die Rendite 10-jähriger italienischer Staatsanleihen ist seit Anfang 2021 um 3% gestiegen:
Davon spiegeln 2,5% die für die kommenden zehn Jahre erwarteten höheren Leitzinsen wider, und nur etwa 0,5 % deuten auf eine Ausweitung der Differenz zwischen den Italiens Kreditkosten und den risikofreien Zinsen hin.
Der Eindruck ist, dass der kürzlich erfolgte Anstieg der Anleihe-Renditen durch die Fundamental-Daten nicht gestützt, sondern «spekulativ» motiviert ist, wie Jens Eisenschmidt vor einer Woche mit einem Chart vor Augen geführt hat.
Sturm im Wasserglas?
Während das eigentliche Problem für die EZB die Fragmentierung der Kreditaufnahmebedingungen für den Privatsektor in den verschiedenen Ländern ist, besteht die einzige Möglichkeit, dieses Problem zu lösen, in der Begrenzung der Spreads zwischen den Staaten.
Was aber sind die Parameter, die für die Zinsdifferenzen (Renditen) zwischen Staatsanleihen der Eurozone im Wesentlichen ins Gewicht fallen?
Der haushaltspolitische Ermessensspielraum der einzelnen Mitglieder der Eurozone: unterschiedliche Fiskal-Politik, unterschiedliche Verschuldungsniveaus und unterschiedliche Wachstumsdynamik.
Rating-Agenturen und ihre Einschätzung der Kreditwürdigkeit der EUR-Mitglieder.
Spekulationsgeschäfte von Händlern auf den Anleihe-Märkten.
Die unpraktische Trennung von Geld- und Fiskalpolitik auf der EU-Ebene und die Besessenheit von Schuldenquoten im Verhältnis zum BIP.
Das Fehlen einer gemeinsamen Finanzbehörde oder einer voll funktionsfähigen Bankenunion für die Eurozone insgesamt.
Die anhaltend tiefe Ungleichgewichte im Euro-Raum: Länder mit enormen Leitungsbilanz-Überschüssen versus Länder mit Leistungsbilanz-Defiziten.
Die EZB muss daher, um glaubwürdig zu wirken, dem Markt mit potenziell unbegrenzten Käufen von Staatsanleihen «drohen». Die Drohung muss nicht ausgetragen werden.
Das heisst, wenn eine Zentralbank ein bestimmtes Ziel glaubwürdig anpeilt, reicht es aus, darauf hinzuweisen. Es handelt sich dabei um den sog. «Chuck Norris»-Effekt der Geldpolitik.
Die EZB muss das Versprechen im Rahmen ihrer «lender of last resort»-Funktion, die Staatsanleihen mit erhöhten Spreads zu kaufen, nicht einmal einlösen. Es genügt, darauf hinzuweisen, dass sie im Notfall die Anleihekäufe unbegrenzt fortsetzt. Und wenn sie im Gegenzug andere Staatsanleihen aus den eigenen Beständen verkauft, kann sie den Prozess sterilisieren und gleichzeitig ihre Glaubwürdigkeit unterstreichen.
Isabel Schnabels Verweis in ihrer jüngsten Rede auf "unser Engagement für den Euro ist unser Anti-Fragmentierungswerkzeug. Dieses Engagement hat keine Grenzen" ist deshalb von erheblicher Bedeutung.
PS:
Die Einkaufsmanagerindizes (PMIs) im Euro-Raum haben sich im Juni stark verlangsamt und sind auf den niedrigsten Stand seit 16 Monaten gefallen, wobei die Produktion des verarbeitenden Gewerbes zum ersten Mal seit Mitte 2020 negativ wurde.
Die EZB dürfte sich in einer sehr schwierigen Lage befinden, da der Höhepunkt der Inflation nicht vor September erwartet wird und sich die wirtschaftlichen Bedingungen verschlechtern, zumal sie eine Anhebung um 25 Basispunkte im Juli festgelegt hat.
Jens Eisenschmidt von Morgan Stanley rechnet zwar mit zwei weiteren Erhöhungen um 25 Basispunkte im Oktober und Dezember. Der ehemalige Ökonom der EZB ist aber auch der Meinung, dass die EZB ihren Erhöhungszyklus bis zum Jahresende aufgrund der sich verschlechternden Bedingungen unterbrechen werde.
PPS:
Die Defizit-Länder sind darauf angewiesen, ihre Wirtschaft irgendwie anzukurbeln. Wie soll es aber gehen? Die lockere Geldpolitik wird derzeit von der EZB zurückgefahren. Verordnet durch Brüssels und Berlin koomt auch keine expansive Fiskalpolitik zum Einsatz. Und Unternehmen sparen weiter. Wie hilfreich wäre es, in diesem Marktumfeld die Staatsausgaben herunterzufahren, wenn es darum geht, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu animieren?