Angus Deaton: “Economics in America” – An Immigrant Economist Explores the Land of Inequality, Princeton University Press, October 2023, Oxford.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Ökonomen es seit jeher geflissentlich auslassen, über Ethik nachzudenken und darüber, was menschliches Wohlbefinden ausmacht. Und sie agieren im Allgemeinen wie Technokraten, die sich auf Effizienz konzentrieren.
Angus Deaton, emeritierter Professor für Wirtschaft und internationale Angelegenheiten an der Princeton School of Public and International Affairs und am Fachbereich Wirtschaft der Princeton University, bekräftigt vor diesem Hintergrund in einem lesenswerten Beitrag im IMF-Blog, dass
«Wir kaum eine Ausbildung über die Ziele der Wirtschaft, über die Bedeutung des Wohlbefindens erhalten oder darüber, was Philosophen über Gleichheit sagen.»
Die Wohlfahrtsökonomie ist in der Tat schon lange aus dem Lehrplan verschwunden.
«Wir setzen Wohlstand oft mit Geld oder Konsum gleich und übersehen dabei vieles, was den Menschen wichtig ist. Im gegenwärtigen wirtschaftlichen Denken ist der Einzelne viel wichtiger als die Beziehungen zwischen Menschen in Familien oder Gemeinschaften.»
Der Autor, der 2015 Nobel-Preis für Wirtschaftswissenschaften erhielt, schreibt freimütig aus tiefstem Herzen, was diesem unbedingt lesenswerten Werk eine profunde Authentizität verleiht.
Im Mittelpunkt des Buches steht der Beruf als «Ökonom» und damit nolens volens auch die Rolle vorherrschenden Schule («neoclassical economics») und die schwerwiegenden Konsequenzen (z.B. via «financial engineering») für das Leben im Allgemeinen Sinn.
Wirtschaftswissenschaftler haben oft verschiedene Denkansätze für ein und dasselbe Phänomen, und die besten Wirtschaftswissenschaftler sind in der Lage zu erkennen, welchen sie in welchem Kontext anwenden sollten.
Dass es gute und schlechte Ökonomen gibt, ist kaum eine Überraschung und hat nichts mit ihrer möglichen Verantwortung für den Zustand der Wirtschaft zu tun.
Denn in der Physik werden Nobelpreise für Korrektheit verliehen, in den Wirtschaftswissenschaften dagegen oft für Brillanz (Robert Zoellik).
In den Wirtschaftswissenschaften kommt man weiter, wenn man ein brillantes Argument für eine absurde Schlussfolgerung vorbringt (Robert Solow).
Deaton ruft in Erinnerung, dass die GFC 2008 das Ergebnis einer Reihe schwerwiegender Fehler, Fehleinschätzungen und sogar Betrügereien von Unternehmen und Einzelpersonen des privaten Sektors war, unterstützt und begünstigt von Führungspersönlichkeiten, die übermäßig in das Laissez-faire verliebt waren und sich der gepriesenen Weisheit des Marktes verschrieben hatten.
Prof. Deaton schreckt nicht davor zurück, Ross und Reiter zu nennen.
Eine interessante Frage, die dabei auftaucht ist, ob die Demokratie mit dem Kapitalismus vereinbar ist oder nicht.
Es scheint, dass die Idee, internationale Organisationen könnten unter der Leitung von Wirtschaftswissenschaftlern das Wachstum in der Welt fördern und die Armut beseitigen - eine Idee, die nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde und unter anderem von Keynes ins Leben gerufen wurde, verblassen ist.
Der Autor nimmt in der Tat kein Blatt vor dem Mund. Er beschreibt in ausgewählten Worten, weshalb die Wirtschaftswissenschaften keinen wissenschaftlichen Inhalt zu haben scheinen, sondern lediglich politische Spaltungen verfolgen.
Es ist schwer sich des Eindrucks zu erwehren, als ob Wirtschaftswissenschaftler «Lobbyisten und Apologeten der Reichen» versinnbildlichen würde.
«Dass der Berufsstand seine frühen Wurzeln in Eugenik, Nativismus und Rassismus abgelegt hat, nur um zu einem Stamm von Frauenhassern zu werden, der nur wenige Frauen in seine inneren Kreise aufnimmt und sie dann schlecht behandelt, wenn er sie aufnimmt.»
Der amerikanische demokratische Kapitalismus, wie er derzeit praktiziert wird, dient nur einer Minderheit der Bevölkerung, und die Mehrheit ist weder mit der Demokratie noch mit dem Kapitalismus zufrieden, hält der Autor fest.
In der Zwischenzeit sterben weniger gebildete Amerikaner aus Verzweiflung («deaths of despair»), die sich dem Populismus zugewandt und ein politisches System aufgegeben haben, das ihnen nicht hilft.
Fazit: Ein zentrales Problem der modernen Mainstream-Ökonomie ist ihre begrenzte Reichweite und ihr begrenzter Gegenstand. Die Disziplin hat sich von ihrer eigentlichen Grundlage, der Untersuchung des menschlichen Wohlergehens, abgekoppelt.
Eine ungefiltert und offenherzig dargestellte Tour d’Horizon über die wichtigsten Themen der Volkswirtschaft aus erster Hand, zugänglich auch für Laien.