Deutschlands neue (alte) Wirtschaftspolitik und Ungleichgewichte im Aussenhandel
Germany's New Economic Policy and Imbalances in Foreign Trade
Christian Lindner, Bundesminister der Finanzen hat am Montag Lars Feld zum „Persönlichen Beauftragten des Bundesministers der Finanzen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung“ bestellt.
In dieser Rolle wird Professor Feld den Minister bei der Bewertung makroökonomischer Fragestellungen unterstützen, heisst es in der Pressemitteilung.
Lindner hat es nicht ausgelassen, bei dieser Gelegenheit die Eckpfeile der deutschen Wirtschaftspolitik, die ihm vorschwebt, bekanntzugeben.
Hier sind die auffälligsten Stichworte:
«Eine massvolle Fiskalpolitik»:
Das bedeutet ganz klar “fiscal austerity».
Mark Blythe hat ein ganzes Buch darübergeschrieben: «austerity is a dangerous idea».
Es handelt sich dabei um verbrauchsdämpfende Maßnahmen, die die Nachfrage durch überschüssige Ersparnisse verringern. Der Rückgang der Verbrauchsausgaben führt zum Rückgang der Investitionen, was auf dem Wirtschaftswachstum lastet und schliesslich Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung auslöst.
Mit der Austerität geht im Übrigen auch eine gewisse Lohnmässigung einher. Und das Land mit einem Leistungsbilanzüberschuss exportiert überschüssige Ersparnisse und importiert Auslandsnachfrage, um die inländischen Sparungleichgewichte auszugleichen.
Das heisst, dass dieses Land eine einzige Möglichkeit hat, seine Verschuldung zurückzufahren: das Ausland muss sich weiter verschulden. Dies ist keine Magie, sondern eine buchhalterische Identität. So funktioniert nämlich der Zahlungsbilanz-Mechanismus.
«Ordoliberale Grundüberzeugung»
Das wirtschaftspolitische Ziel ist, die Grössenordnung des Staates zu verringern und Steuersenkungen für Reiche zu erleichtern.
Das Augenmerk richtet sich dabei auf das Haushaltsdefizit, nicht auf die Verbesserung des Lebensstandards.
Das Motto lautet: «Staat ist das Problem – Markt ist die Lösung».
Die Zeit seit den 1980er Jahren zeigt aber deutlich, dass der Neoliberalismus sich selbst übertroffen und mit Brexit und Trump eine Form der autoritären Plutokratie geschaffen hat, die eine Bedrohung für die pluralistische Demokratie darstellt.
«Geld, das der Staat ausgibt, muss aber immer erst erwirtschaftet werden»
Das ist ein Hinweis darauf, dass der deutsche Finanzminister Geldschöpfung als «exogen» hält.
Die Menge des vorhandenen Fiat-Geldes scheint demnach für die Realwirtschaft exogen zu sein. Das heißt, die Geldmenge wird von den Zentralbehörden unabhängig und getrennt von der Produktion von Waren und Dienstleistungen bestimmt.
Aus diesem Grund ist die Kontrolle der Geldmenge von zentraler Bedeutung für die Kontrolle der Inflation.
Diese Sichtweise des Geldes entspricht jedoch nicht den Tatsachen.
Geld wird nicht einfach von den zentralen Behörden geschaffen. Es wird tatsächlich immer dann geschaffen, wenn Geschäftsbanken Geld verleihen, da eine solche Kreditvergabe die Kaufkraft derjenigen erhöht, die einen Kredit aufnehmen. Es ist also die Nachfrage nach Krediten durch Unternehmen und Haushalte in der Wirtschaft, die die Geldmenge bestimmt.
Mit anderen Worten: Geld ist endogen für die Realwirtschaft und keineswegs unabhängig von der Produktion von Waren und Dienstleistungen.
Eine «fun fact» ist, dass die deutsche Bundesbank den (endogenen) Geldschöpfungsprozess vor rund fünf Jahren ausführlich und korrekt erklärt hat, wo sich der deutsche Finanzminister kostenlos erkundigen kann.
Die Bundesbank schreibt, dass die Kredit- und Geldschöpfung das Ergebnis komplexer Interaktionen zwischen Banken, Nichtbanken und Zentralbank ist.
Und sie erklärt weiter, dass die Fähigkeit der Banken dabei, Kredite zu vergeben und Geld zu schaffen, nicht davon abhängt, ob sie bereits über freie Zentralbankguthaben oder Einlagen verfügen. Period.
«Schuldenbremse»
"Schuldenbremse" ist der private Vampir der fiskalischen «Sparsamkeit» (fiscal austerity).
Und sie trägt dazu bei, den Handlungsspielraum des Staates einzuschränken. Betroffen ist im Grunde genommen nicht nur die Ausgabe-Seite des Staatshaushaltes. Denn es bedeutet ein jahrelanges Leben mit einer Gürter-enger-Schnallen Politik:
EUR-Länder werden aufgefordert, weiterhin systematisch weniger auszugeben als Einnahmen.
Die Frage, die von grosser Bedeutung ist, bleibt aber unbeantwortet: Wie sollen private und öffentliche Investitionen belebt und Arbeitsplätze gesichert werden?
Es ist daher nicht unwichtig wiederholt daran zu erinnern, dass sowohl private Haushalte als auch deutsche Unternehmen Netto-Sparer sind.
Tatsache ist, dass jede staatliche Ausgabe direkt oder indirekt dem Unternehmenssektor zugutekommt, wie Heiner Flassbeck einleuchtend beschreibt.
«Eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik»
Das ist eine eindeutige Absage an Stimulus-Pakete, die i.d.R. geschnürt werden, um in einem schwer angeschlagenen Umfeld der Wirtschaft die gesamtwirtschaftliche Nachfrage anzukurbeln.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass die angebotsorientierte Theorie staatlichen Konjunkturprogrammen und Investitionen widerspricht, weil solche Massnahmen sich angeblich nur kurzfristig auswirken und durch öffentliche Kreditaufnahme «crowding-out» auslösen. Es trifft aber nicht zu.
Die angebotspolitischen Massnahmen umfassen i.d.R. Deregulierung (mehr Handlungsraum für die Finanzindustrie), Steuersenkungen (für Unternehmen und Reiche), «Flexibilisierung des Arbeitsmarktes» («hire-and-fire» policy und Lohnunterdrückung) und Sicherung der Preisniveaustabilität (zu Lasten von Vollbeschäftigung).
Fazit:
Die Bewältigung der COVID-19 Krise zeigt, dass der Fiscal Stimulus sich auszahlt, wenn die Wirtschaft nicht voll ausgelastet ist.
Wirtschaftswissenschaftler sind sich heute daher weitgehend einig, dass die Fiskal-Politik eine erhebliche stimulierende Wirkung auf eine nicht voll ausgelastete Wirtschaft hat und dass eine angemessen gestaltete Fiskal-Politik das Wirtschaftswachstum steigern kann.
Geld ist nicht knapp.
Die Geldmenge muss so knapp bemessen sein, dass Inflation und Instabilität vermieden werden, aber gleichzeitig muss genügend Geld für die Vorfinanzierung von Produktion und Konsum durch die Schaffung von Schulden vorhanden sein.
Ein Balanceakt ist notwendig.
Doch die vom Bundesministerium der Finanzen hervorgehobene Parameter sind einseitig: Vorzug des Wettbewerbs der Nationen («rat race») über den Wettbewerb von Unternehmen. Und sie deuten damit ohne Zweifel auf deflationäre Tendenzen sowie Wachstumsschwäche im Euro-Raum hin.
Die Spatzen pfeifen es heute von den Dächern, dass die Staatsschulden nicht die Ursache der Euro-Krise waren, sondern die Folge von Ungleichgewichten im Aussenhandel.