Die Rendite der deutschen Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit ist am Dienstag zum ersten Mal seit einem Monat wieder unter die Null-Marke gerutscht.
Was daran bemerkenswert ist, dass die Bundesregierung zwei Tage davor für den Bundeshaushalt 2022 ein mit 100 Mrd. EUR ausgestattetes Sondervermögen für die Bundeswehr angekündigt hat.
Bundeskanzler Olaf Scholz will damit Investitionen in «kritische Infrastruktur und Kommunikationswege» erhöhen, um zugleich «technologisch auf der Höhe der Zeit» zu bleiben.
Während die deutschen Staatsausgaben erhöht werden, fallen die Renditen der Bundeswertpapiere.
Wie?
Was wir seit dem Ausbruch der COVID19 Pandemie eindeutig beobachten, lässt sich kurz folgendermassen zusammenfassen:
Die öffentliche Verschuldung verschafft dem Staat (*), der mit einer Notlage im Gesundheitswesen (die Folgen von COVID-19) und einer bevorstehenden Kontraktion (die Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine) zu kämpfen hat, einen wertvollen finanzpolitischen Spielraum.
Und dieser Spielraum ermöglicht der Regierung den inflationsfreien Zugang zu realen Ressourcen (**), die sie zur Erfüllung ihres sozioökonomischen Auftrags benötigt.
Zur Erinnerung: Die neoliberale Auffassung vom fiskalischen Spielraum geht fälschlicherweise davon aus, dass dem Staat das Geld ausgehen kann.
Nein, das Geld ist nicht knapp.
Geld entsteht als Kredit-Schulden-Verhältnis.
Und das Geld kann niemals "schuldenfrei" in dem Sinne sein, dass seine Akzeptanz auf dem Versprechen des Emittenten beruht, es zur Begleichung von Schulden anzunehmen.
Im Übrigen sind Staatsausgaben in einem fiat-money System nicht auf Steuereinnahmen angewiesen.
Gerade als sich die EU-Mitgliedstaaten darauf vorbereiteten, nach den massiven Konjunkturmaßnahmen während der Pandemie den Gürtel enger zu schnallen, beginnt eine neue Ära großer Ausgaben, ausgelöst durch den Einmarsch Russlands in der Ukraine, berichtet Bloomberg.
In der Ungewissheit, wie sich der Krieg entwickeln wird, wird die Europäische Kommission in ihren Leitlinien für 2023 keine strikte Rückkehr zu den Haushaltsregeln der Gemeinschaft vorschlagen, und eine Verlängerung der Aussetzung der Schuldengrenzen könnte im Frühjahr in Erwägung gezogen werden, heißt es im Bericht weiter.
Barry Eichengreen deutet in seinem lesenswerten neuen Buch «In Defense of Public Debt» darauf hin, dass Staaten im Laufe der Geschichte immer wieder Kredite aufgenommen haben, um Kriegen, Naturkatastrophen, Finanzkrisen und wirtschaftlichen Abschwüngen zu begegnen, wenn die öffentliche Politik mehr Mittel benötigt, als mit den laufenden Einnahmen allein aufgebracht werden können.
Aber Kreditnehmer brauchen willige Kreditgeber.
Diese Kreditgeber wiederum verlangen Schutzmaßnahmen, um einen Markt für Staatsschulden zu schaffen.
Zu diesen Schutzmaßnahmen gehören ein liquider Sekundärmarkt, eine Zentralbank, die den Markt absichert und die Liquidität sicherstellt («lender of last resort»), sowie eine geldpolitische Vorschrift, z. B. ein Inflations- oder Wechselkursziel.
Es ist nicht schwer, Zusammenhänge zwischen den Voraussetzungen für die Emission von Staatsanleihen und allgemeineren wirtschaftlichen, finanziellen, sozialen und politischen Veränderungen zu erkennen, einschließlich der Stärkung der politischen Kontrolle («checks and balances»).
Einige Analysten sprechen seit geraumer Zeit von finanzieller Repression als Mittel zum Abbau der Staatsverschuldung. Doch es ist schwer vorstellbar, weil es eine erhebliche Einschränkung der Anlagemöglichkeiten erfordern würde.
Heute haben Investoren eine große Auswahl an Alternativen zu US-Treasuries und German Bunds. Aber «wenn der Schuh drückt», kaufen sie wieder Staatsanleihen. Und das Rendite-Niveau sinkt.
Dies bedeutet, dass die Staatsverschuldung ein wesentlicher Bestandteil des modernen Wirtschaftswachstums ist.
Das unstimmige Zahlenpaar «3% & 60%» kann die Modernisierung, einen Prozess mit wirtschaftlichen, finanziellen, sozialen und politischen Dimensionen, nicht aufhalten.
(*)
Die öffentliche Verschuldung hat eine Schlüsselrolle gespielt, um die GFC 2007-2008 anzugehen. Zum Beispiel die «bail out» der Banken. Die GFC hat gezeigt, dass die zusätzliche Schuldenaufnahme nicht zu einem Anstieg der Zinsen geführt und keine höhere Inflation ausgelöst hat.
(**)
Beispielsweise in Form von einer hohen Unterbeschäftigung und der Arbeitslosigkeit.
Wie Statistisches Bundesamt am Mittwoch gemeldet hat, ist die Beschäftigung im Januar 2022 zwar weiter gestiegen. Aber die Zahl der Erwerbstätigen liegt weiterhin unter dem Vorkrisenniveau.