Joscha Wullweber: Central Bank Capitalism - Monetary Policy in Times of Crisis, Stanford University Press, August 2024.
Das globale Finanzsystem ist ohne Zweifel inhärent instabil.
Was die Bedeutung von Finanzregulierung und -aufsicht offenkundig unterstreicht, ist sicherlich nicht schwer zu erkennen: die zyklische Natur der Finanzmärkte und die Risiken, die mit Phasen übermäßigen Optimismus und überzogener Fremdkapitalisierung einhergehen.
Es ist zudem ein offenes Geheimnis, dass die Stabilität im heutigen marktliberalen Finanzsystem seit den 1980er Jahren eher die Ausnahme als die Regel ist.
Die COVID-19-Pandemie und die globale Finanzkrise (GFC 2008) sind keine Ereignisse, die in einem ansonsten stabilen Finanzsystem auftreten würden.
Der Begriff "Zentralbankkapitalismus" bezieht sich vor diesem Hintergrund auf einen grundlegenden Wandel, der sich im heutigen Kapitalismus vollzieht:
Gemeint ist der laufende Prozess, der während der GFC deutlich wurde: Der radikale und tiefgreifende Umbruch des Wesens der westlichen Wirtschafts- und Finanzsysteme.
Der Rückschluss ist, wie der Autor es zum Ausdruck bringt, dass das globale Finanzsystem und der heutige Kapitalismus in den westlichen Industrieländern ohne die permanenten, höchst unkonventionellen, umfangreichen und zum Teil extremen Interventionen der Zentralbanken nicht mehr funktionsfähig sind.
Eine Aussetzung dieser Zentralbankinterventionen würde nicht nur den Zusammenbruch der Bankensysteme, sondern auch der globalen Finanzsysteme und der Wirtschaft auf der ganzen Welt bedeuten.
Der Zentralbankkapitalismus hat daher zur Folge, dass die Zentralbank in zunehmendem Maße auf der Grundlage technokratischer Verfahren kritische Entscheidungen mit weitreichenden wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen treffen muss.
Im Mittelpunkt des globalen Finanzsystems steht heute das Schattenbankensystem. Und gerade das Schattenbankensystem (“Shadow Banking”) trägt wesentlich zur grundlegenden Instabilität des Gesamtsystems bei.
Schattenbanken sind bekannt dafür, dass sie Kredite und Vermögenswerte außerhalb des Bankensystems vermitteln. Ihr jährliches Handelsvolumen beläuft sich derzeit auf über 239 Billionen USD. Fast 50% aller Kredittransaktionen werden über Schattenakteure abgewickelt, zu denen Geldmarktfonds, Hedgefonds und Investmentbanken gehören.
Eine Krise im Schattenbankensystem kann sich auch auf die produktive Wirtschaft auswirken, wenn es für nicht-finanzielle Akteure schwierig wird, Liquidität zu beschaffen.
Joscha Wullweber nimmt kein Blatt vor den Mund: ohne ein funktionierendes globales Finanzsystem würde der Kapitalismus zusammenbrechen. Zentralbanken sind nicht mehr nur eine Liquiditätsquelle: sie agieren heute auch als „Händler und Market Maker“, nebst Rollen als «lender of last resort», wozu auch geldpolitische Interventionen in Krisenzeiten via QE («quantitative easing») und Leitzinspolitik gehören.
Eine kritische Frage, die sich unvermeidbar stellt, ist, ob der Zentralbankkapitalismus das Ende der neoliberalen Ära, die mit der Abschaffung des Bretton-Woods-Systems begann und durch Ronald Reagans Deregulierungspolitik und Margaret Thatchers Big-Bang-Periode der Deregulierung der Finanzdienstleistungen in den 1980er-Jahren an Dynamik gewann, markiert?
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der starke Einfluss der Finanzindustrie in einen neoliberalen Diskurs, der den gesamten Globus umspannt, eingebettet ist.
Verschiedene Formen der «financialization» und «securitization» (Verbriefung) kolonisieren fast jeden anderen Bereich des gesellschaftlichen Lebens und führen zu einem Verlust an staatlichem Einfluss.
Ausgehend von der Vision allumfassender Märkte kann jede erdenkliche Unsicherheit zu einem Preis abgesichert werden, der dem Grad der Unsicherheit entspricht.
Doch die sich verändernde Art der Beziehung zwischen dem Staat und dem Finanzsystem schafft inzwischen ein konstitutives Bedingungsverhältnis. Mit anderen Worten: eine neue Art von Verflechtung zwischen Sicherheit, Staat und dem Finanzsystem.
Der Autor beschreibt uns in akribischen Einzelheiten das vorherrschende «Laisser-faire» Regime, welches ohne Zweifel künstlich am Leben gehalten wird, da das Finanzsystem ohne die Interventionen der Zentralbanken kippen würde.
Der Neoliberalismus, der bislang zunehmend dazu benutzt wurde, eine Politik zu fördern, die den Staat verkleinert und Steuersenkungen für die Wohlhabenden ermöglicht, überlastet die Zentralbanken, sorgt jedoch paradoxerweise für eine neuartige Verquickung von Staat und Markt, um die liberale «Marktrationalität» aufrechtzuerhalten, wobei Austerität («Defizitfetischismus») als Mittel zur «Eindämmung» der öffentlichen Hand eingesetzt wird.
Eine scharfsinnige Beobachtung und profunde Analyse der facettenreichen Kapitalmärkte im Lichte der GFC 2008 als bahnbrechende Spielwende. Ein sorgfältig verfasstes Standardwerk, unbedingt lesenswert.
An astute reflection and profound analysis of the multi-faceted capital markets in the light of the 2008 GFC as a ground-breaking game changer. A meticulously researched standard work, essential reading.